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Archiv-Artikel

„Doping? Den Fans ist es egal“

Jos Hermens über die Moral von Leichtathleten, Vermarktern und Sportkonsumenten

INTERVIEW FRANK KETTERER

taz: Herr Hermens, in Deutschland heißt es, die Leichtathletik stecke in der Krise. Ist das nur ein deutsches Problem?

Jos Hermens: Nein, es ist ein bisschen ein europäisches Problem, mit Ausnahme von Schweden vielleicht.

Woher rührt das?

Die jungen Leute heutzutage haben viele andere Dinge im Kopf. Und die Leichtathletik ist ein Sport, der einem sehr viel abverlangt, und das über Jahre hinweg. Das ist nicht so einfach wie ein bisschen Volleyball am Beach. Aber eine Krise ist es nicht.

Sondern?

Nennen wir es Übergangsphase.

Sehen Sie denn schon ein Talent, das die deutsche Leichtathletik retten könnte?

Ach, die deutsche Leichtathletik muss nicht gerettet werden. Klar ist aber auch, dass es auf Dauer schwer ist, wenn es keine Helden gibt. Die Medien kommen nun mal nur dorthin, wo es Siege und Medaillen gibt. Auf der anderen Seite müssen wir unseren Helden dann aber auch eine Plattform bieten, auf der sie sich präsentieren können – und das nicht nur einmal im Jahr bei Olympia, WM oder EM.

Das heißt?

Wir brauchen neue Sponsoren. Und wir brauchen mehr Meetings und Wettkämpfe. Meine Firma und ich organisieren jetzt ein Meeting in Mexiko und eines in Schanghai. Das eröffnet den Athleten einen ganz neuen Markt, auf dem sie sich präsentieren können. Das ist wichtig, aber auch ein zweischneidiges Schwert.

Warum denn das?

Die Leichtathletik wird sauberer und sauberer, und natürlich ist das gut so. Es bedeutet aber auch, dass Sportler öfter verletzt sind oder längere Pausen zur Regeneration benötigen, eben weil nicht mehr gedopt wird oder doch zumindest weniger. Sie können also weniger oft starten. Marketingtechnisch gesehen ist das nicht so gut.

Bitte?

Sie können noch weniger Wettkämpfe bestreiten, um sich den Sponsoren zu präsentieren. Ein Fußballspieler macht 30 Spiele im Jahr und jedes wird im Fernsehen übertragen. Ein Radfahrer fährt drei Wochen die Tour de France – und ist jeden Tag im Fernsehen zu sehen. In der Leichtathletik gibt es so etwas nicht.

Wie könnte man das, außer mit Doping, kompensieren?

Wir müssen unsere Athleten auch außerhalb der Leichtathletik präsentieren und promoten. Aber das ist sehr schwer. Selbst bei Haile Gebrselassie hat es über neun Jahre gedauert, bis er ein Star war.

Der letzte deutsche Leichtathletik-Star war Ihr Klient Nils Schumann, der 800-m-Olympiasieger von Sydney. Von ihm ist in der Öffentlichkeit gar nichts mehr zu sehen. Was lief da schief?

Er ist schlecht operiert worden und hat dadurch zwei Jahre verloren. Das hätte nicht passieren dürfen. Auch in Deutschland gibt es doch gute Ärzte, aber der Verband hat ihm da wohl den falschen empfohlen. Ich möchte dem betroffenen Arzt das gar nicht ankreiden, darum geht es nicht. Aber der Verband hätte sich besser informieren müssen, das ist auch eine Sache der Koordination. Ich hoffe zwar, dass Schumann noch mal zurückkommt, aber wenn nicht, dann ist seine Karriere durch einen medizinischen Fehler kaputtgemacht worden.

Sie haben erwähnt, dass die Leichtathletik sauberer geworden sei. Wie steht es derzeit um ihre Glaubwürdigkeit?

Von allen Sportarten ist die Leichtathletik die, in der am meisten und am strengsten kontrolliert wird. Deswegen werden ja auch so viele erwischt. Aber die meisten davon sind kleine Fische, die wegen relativ geringer Vergehen gesperrt werden.

Wollen Sie damit andeuten, dass in der Leichtathletik zu streng und zu viel kontrolliert wird?

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann.

Zum Beispiel?

Die IAAF hat gerade beschlossen, dass, wer bei drei Trainingstest in fünf Jahren nicht anzutreffen ist, sofort gesperrt wird. Das ist zum Beispiel in Afrika nie und nimmer umzusetzen, das ist totaler Quatsch.

Auf der anderen Seite hat die Leichtathletik gerade einen Skandal hinter sich, Stichwort Balco und THG.

Natürlich hat uns das erschüttert. Aber andere Sportarten wie Baseball oder Football, die vom Skandal genauso betroffen waren, stellen sich immer noch hin und sagen: Wir sind Profisportler, wir machen keine Tests. Und das ist für die auch normal.

Die Zuschauer wissen nicht mehr, welchem Athleten sie noch trauen können und welchem nicht.

Die Zuschauer? Den Zuschauern ist das scheißegal. Die deutschen Zuschauer wollen Jan Ullrich die Tour de France gewinnen sehen, egal ob mit oder ohne Doping.

Sie glauben nicht, dass es Fans gibt, die beispielsweise Vorbehalte gegen Sprint-Weltmeister Justin Gatlin haben, gerade weil er bei Trevor Graham trainiert, der in den Balco-Skandal maßgeblich verwickelt ist?

Vielleicht ein paar wenige. Aber in erster Linie sind es Journalisten, die das interessiert. Die Mehrheit der Zuschauer kommt, um gute Athleten und gute Leistungen zu sehen. Die kümmern sich nicht um Balco.

Wie handhaben Sie das als Manager? Sie müssen Ihren Athleten vertrauen können?

Wir haben ein Kontrollsystem – und darauf verlasse ich mich. Wer in diesem System noch nicht auffällig geworden ist, der hat als sauber zu gelten.

Das System hat aber auch THG lange nicht erkannt.

Ich bin davon auch überrascht worden, obwohl ich nun wirklich Insider bin. Aber dagegen bin ich nicht gefeit. Vielleicht gibt es schon ein neues Mittel, das wir noch gar nicht kennen, wer weiß? Ich bin kein Wissenschaftler, sondern Manager. Dass es da mal das ein oder andere Probleme gibt, ist doch normal. Im normalen Leben gibt es ja auch Verbrecher – und so ist das eben auch im Sport. Aber wir in der Leichtathletik kämpfen gegen die Verbrecher.

Gibt es Athleten, denen Sie nicht über den Weg trauen?

Natürlich gibt es die. Aber ich mache mir nicht so viele Gedanken über sie. Sonst müsste ich mit meinem Job aufhören.

Bei Ihrem eigenen Meeting in Hengelo haben Sie Marion Jones ein Antrittsgeld von 50.000 Dollar bezahlt. Tim Montgomery hingegen haben Sie nicht eingeladen. Wo ziehen Sie die Linie?

Ganz einfach: Gegen Marion Jones liegt nichts vor. Es gibt Gerüchte, aber keinen positiven Test. Montgomery hingegen stand damals kurz vor seinem Prozess, er war angeklagt. So eine Sache wie der Balco-Skandal müsste viel schneller abgehandelt und über die Bühne gebracht werden. Wenn jemand positiv ist, ist er positiv – fertig! Aber bei uns landet das alles dann noch mal vor Gericht.

Die IAAF hat in Helsinki beschlossen, die Häufigkeit der Dopingtests eines Athleten am Ende des Jahres öffentlich zu machen. Ist das der richtige Weg?

Absolut. Das will ich auch gerne wissen.

Herr Hermens, Sie haben einmal gesagt: Afrikaner brauchen kein Doping. Warum nicht?

Sie sind einfach dafür geboren, um zu laufen. Sie haben eine wunderbare Veranlagung.

Sind Sie froh, dass gut die Hälfte Ihrer Klienten Afrikaner sind?

Das können Sie laut sagen.