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Die neue Strenge

Bei der Leichtathletik-WM in Doha gelten neue Anti-Doping-Regeln, die nationale Institutionen stärker in die Pflicht nehmen. Einige Länder stehen nun besonders unter Druck. Ein Besuch in Äthiopien

Aus Addis Abeba Felix Lill

In der Brust von Mekonnen Yidersal dürften dieser Tage zwei Herzen schlagen. Das eine pocht bei Siegen seiner Nation, die so berühmt ist für Goldmedaillen im Laufsport. Das andere müsste rasen, wenn seine Landsleute des Dopings überführt werden. Dann nämlich haben auch er und seine Leute einen gründlichen Job gemacht. „Ich versuche es aber nicht so zwiespältig zu sehen“, sagt der 36-Jährige, der die Anti-Doping-Agentur von Äthiopien anführt. „Ich finde, wenn wir keine positiven Fälle sehen, haben wir unsere Aufgabe wohl auch erfüllt.“ Schließlich sei dann gar nicht erst gedopt worden.

Am Freitag begann in Doha die Leichtathletik-WM, und die Läufer aus Äthiopien gehören wieder zu den Favoriten. Dabei ist es diesmal besonders ungewiss, ob sie ihrer Rolle gerecht werden können. Es ist die erste WM, bei der neue Anti-Doping-Regeln greifen, durch die illegale Leistungssteigerungen besser unterbunden werden sollen. Nach Skandalen systematischen Dopings insbesondere in Russland beschloss der Leichtathletikweltverband IAAF letztes Jahr, dass fortan nicht mehr nur die Athleten, sondern auch die nationalen Verbände in die Pflicht genommen werden. So stehen bei der WM in Doha auch die nationalen Institutionen im Rampenlicht.

Das Büro von Mekonnen Yidersal liegt am Rande einer stark befahrenen Straße der Viermillionenstadt Addis Abeba, im 4. Stock eines staubigen Gebäudes, dessen Erdgeschoss mit kleinen Geschäften für Klamotten und Schreibwaren belegt ist. Auf dem Laptop in Yidersals kaum eingerichteten Büro klebt ein Sticker mit dem Spruch „Say No! To Doping“. Der oberste Dopingjäger des Landes sitzt auf einem Sofa und will sich zuversichtlich zeigen: „Mit den neuen Regeln wurden alle Länder in Risikogruppen eingeteilt, je nach ihren Erfolgen. Weil wir so viel gewinnen, sind wir jetzt in der obersten Risikogruppe.“ Die neue Strenge sei ja auf eine Weise auch ein Kompliment.

Bei den letzten Weltmeisterschaften vor zwei Jahren belegte Äthiopien den achten Platz im Medaillenspiegel, kein anderes der ärmsten Länder der Welt schnitt so stark ab. Die zwei Gold- und drei Silbermedaillen wurden alle in Laufwettbewerben längerer Distanzen gewonnen. Auch bei Olympischen Spielen holt Äthiopien vor allem in diesen Disziplinen, die als besonders dopinganfällig gelten, viele Medaillen. Ebenfalls zur „Kategorie A“ beim Dopingrisiko gehören Kenia, Weißrussland und die Ukraine. Die Verbände aus diesen Ländern müssen nun häufiger Dopingtests außerhalb der Wettkampfzeiten dokumentieren. Durchgeführt werden sie von der nationalen Anti-Doping-Agentur. Die Regeländerung der IAAF wurde weitgehend begrüßt, weil nun nicht mehr bloß ein Athlet verantwortlich ist, wenn ein Test positiv ausfällt. Allerdings fragt sich auch, wie sehr gerade arme Länder die neuen Regeln umsetzen können. Die Vereinten Nationen ordnen Äthiopien in die Gruppe der am niedrigsten entwickelten Länder der Welt ein. Trotz hohen Wirtschaftswachstums liegt das durchschnittliche Monatseinkommen nur bei rund 60 Euro. In den zehn Monaten vor einer WM oder Olympia müssen pro Athlet nun mindestens drei Dopingtests durchgeführt werden. Je nach Testart, sagt Yidersal, kostet eine Dopingprüfung 100 bis 400 Euro. „Wir tun, was wir können.“

Bei einer Tour durch die Handvoll Büros und Labore seiner Organisation erklärt er, wie begrenzt die Mittel sind. „Für 2019 haben wir ein Budget von 10 Millionen Birr (rund 300.000 Euro, d. Red.) und 43 Dopingprüfer für das ganze Land. Damit können wir unmöglich alle unsere Athleten testen.“ Aber in den letzten eineinhalb Jahren habe man quer über die Sportarten mehr als 1.000 Tests durchgeführt und die Ergebnisse seien erfreulich: „Doping ist wirklich nicht typisch in Äthiopien.“ Auf der Website der Anti-Doping-Agentur sind 13 Athleten gelistet, die gesperrt wurden, nachdem ihre Tests positiv ausgefallen waren. „Unsere Prüfer gehen auch zu Nachwuchsturnieren und machen überall auf die Risiken von Doping aufmerksam. Wir haben null Toleranz.“

Einige Kilometer entfernt, im Nationalstadion von Addis Abeba, wird trainiert. Jugendtrainer und Nachwuchsathleten benutzen die Bahn. Plakate rund ums Stadion zeigen die größten Figuren des äthiopischen Sports. Zum Beispiel Almaz Ayana, die bei den Olympischen Spielen von Rio 2016 einen verblüffend starken Weltrekord auf 10.000 Meter lief und dieser Tage auch in Doha am Start ist. Internationale Schlagzeilen machte schon der Plakatspruch: „Es ist möglich, ohne Doping die Beste zu sein.“ Das wird zumindest teilweise angezweifelt. Vor zwei Jahren ergab eine Recherche unter anderem von ARD und Guardian, dass Dopingmittel in einer Apotheke um die Ecke des Stadions zumindest damals völlig problemlos erhältlich waren. Für ungefähr 30 Euro ließ sich demnach alles Nötige für Blutdoping kaufen, was sich in Tests kaum nachweisen lässt.

Für Doping fehlt den Athleten das Geld, sagt ein Trainer. Das können doch nur ausländische Trainer oder Manager bezahlen, ergänzt der Dopingjäger

„Hier ist niemand für Doping“, sagt Getahua Tadesse, der hier den Laufnachwuchs trainiert, am Rande der Tartanbahn. „Die jungen Athleten brennen für den Sport, sie wollen durch gutes Training die Besten sein.“ Für Doping fehle den Athleten zudem das Geld. Auch wenn erfolgreiche Läufer im Land zu populären Persönlichkeiten werden, wären schon 30 Euro für die meisten ein hoher Preis. Für so etwas bezahlen, glaubt auch Mekonnen Yidersal, könnten eigentlich nur ausländische Trainer oder Manager. Dabei gibt es von denen, seit das einst beliebteste Ausflugsziel für Höhentrainingslager Kenia von mehreren Dopingfällen überschattet wurde, immer mehr im Land.

Ist mittlerweile Äthiopien ein Mekka für unkompliziertes Doping? Nein, sagt Mekonnen Yidersal, er ist stattdessen sicher: „Die internationalen Institutionen des Sports vertrauen uns. Und die ganze äthiopische Gesellschaft ist gegen Doping.“ Außerdem sei die politische Unabhängigkeit der nationalen Anti-Doping-Agentur in ihren Statuten garantiert. Wie potent die nationale Agentur sein kann, wenn ihr Budget doch von der äthiopischen Regierung kommt, die auch Interesse an äthiopischen Medaillen hat? Einen Moment blickt Mekonnen Yidersal auf den Boden.

„Es wäre schon besser, wenn wir unser Budget von internationalen Geldern bekämen statt von der Regierung. Aber wir sind auch froh, dass sich die Regierung unserer Arbeit verpflichtet fühlt.“ Denn man sei verpflichtet zum Hinsehen, nicht zum Wegsehen.

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