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Archiv-Artikel

Bildet Kompetenzteams!

Von Schweden lernen heißt siegen lernen: Warum die deutschen Leichtathleten bei der Weltmeisterschaft in Helsinki ihrer Konkurrenz meist hinterherlaufen – eine Analyse

VON MARKUS VÖLKER

Am Dienstag hat der Star der deutschen Leichtathletik in der Nase gebohrt. Mit seinem Zeh. Ihm war langweilig. Seine Kumpels lachten über die lustige Verrenkung. Doch dann machte es im Knie von Tobias Unger knack. Irgendetwas stimmte mit dem Gelenk nicht mehr. Der 200-Meter-Läufer konnte tags darauf trotzdem starten und erreichte in 20,91 Sekunden die nächste Runde. Dieses Malheur scheint symptomatisch zu sein für die deutsche Leichtathletik. Wenn mal einer da ist, vermasselt er es sich selbst. Andere scheitern an den Nerven. Wieder andere haben ihre Ambitionen längst begraben. Okay, die schweren Jungs und Mädels werfen und stoßen die Eisenteile von sich als handele es sich um Tennisbälle. Die Läufer, Springer und Rundensprinter aber hecheln ihren Gegnern hinterher. Besserung ist nicht in Sicht.

Früher waren die Erträge besser. Das lag an der Konkursmasse DDR und den medikamentösen Planspielen der Menschenschmiede. Auch entwickelte der Ost-West-Konflikt auf dem Gebiet des Sports eine eigene Dynamik. Die Gladiatorenkämpfe, die die Überlegenheit von Gesellschaftssystemen demonstrieren sollten, sind beendet. Längst vorbei die humunkulösen Rennen einer Marita Koch, Jarmila Kratochwilowa oder Florence Griffith-Joyner.

Die Leichtathletik als nationales Projekt ist erledigt – und das ist gut so. Jetzt liegt es an den Athleten, was sie aus ihrem Talent machen. Sie müssen sich ihre Erfolge selbst organisieren. Mehr denn je ist der mündige Sportler gefordert. Manchmal fruchtet die Arbeit in der Kleingruppe. Das machen vor allem die schwedischen Leichtathleten vor, die nicht überall gut, dominierend, medaillenhungrig sein wollen, sondern nur da, wo Talente sprießen: im Hochsprung, Dreisprung oder im Siebenkampf. Die deutsche Leichtathletik verfolgt hingegen den Ansatz, überall vorn sein zu wollen. Das mag in der Jugend gut funktionieren. Der Medaillenspiegel bei U23-Championaten beweist es. Dort sind die Deutschen führend. Doch im Hochleistungsbereich macht dieser Universalanspruch wenig Sinn.

Zur WM in Helsinki ist ein heterogenes Team gereist, darunter Altathleten wie Lars Riedel, ewige Problemfälle wie der Dreispringer Charles Friedek und Newcomer wie der 200-Meter-Sprinter Tobias Unger. Es ist kein Zufall, dass Unger die Zukunft der deutschen Leichtathletik symbolisiert und den Puls der Sportfans um ein paar Schläge beschleunigt. In eigener Regie hat er ein Kompetenzteam um sich geschart, inklusive Coach, Ernährungsspezialist, Physiotherapeut und Mentaltrainer. Wer heutzutage ohne Doping auskommen und trotzdem gewinnen will, braucht Helfer und Helfershelfer. Und er sollte künftig den Finger zum Nasebohren benutzen.