berlinmusik: Nein singen
Mit manchen Künstlernamen verbinden sich ganze Umbruchstellen in der Musikgeschichte. Klingt jetzt etwas pompös, doch der heute in Berlin lebende Produzent Sam Shackleton gehörte zu Beginn dieses Jahrtausends in England zu den maßgeblichen Kräften des damals noch einigermaßen jungen Dubstep-Genres. Eigentlich Clubmusik, mit brutalen Digitalbässen und zitterig zerpflückten Synkopenrhythmen, dazu oft Hall, daher das „Dub“ im Namen.
Shackleton hatte dabei immer schon zu den extremeren Vertretern dieser Musik gehört, deren Außenbezirke erforscht. Vor zehn Jahren stellte er dann sein mit dem Kollegen Appleblim betriebenes Label Skull Disco ein, wie sich auch der Dubstep im Allgemeinen zunehmend in Wohlgefallen aufzulösen begann. Shackleton wandte sich fortan neuen Stilen zu. Doch während viele Produzenten seines Fachs sich insbesondere auf erprobte Spielarten wie House und Techno zurückbesannen, entstand bei ihm seitdem etwas, das man am ehesten als elektronische Musik von großer Neugier bezeichnen kann.
Aktuell betreibt Shackleton mit Tunes of Negation eine richtiggehende Band, die live auftritt, zu der noch der Keyboarder Takumi Motokawa und der Schlagzeuger Raphael Meinhart an Marimba, Vibrafon und Perkussion gehören. Negativ klingen die Töne des Ensembles vielleicht nicht direkt, „positiv“ ist andererseits auch nicht unbedingt das erste Adjektiv, das einem dazu in den Sinn kommt.
Vor allem das eröffnende „The World is a Stage / Reach the Endless Sea“, dem die ihrerseits abenteuerlustige Bardin Heather Leigh die Stimme geliehen hat, wirkt ungeachtet der sanft fließenden Orgel- und Malletklänge durch den zurückgenommen klagenden Gesang Leighs erst einmal wie eine meditative Elegie. Zugleich stecken in dieser Musik aber noch eine Reihe ganz andere, weniger einfach festzunagelnde Empfindungen, die dem Ganzen eine Art skeptische Offenheit verleihen.
Früher hätte man das psychedelisch genannt. Könnte man heute womöglich immer noch machen. Was jedoch die Eigenheiten dieser Zusammenkunft übersehen hieße. Gut, Trance und Hypnose sind ebenfalls Anliegen dieser Band. So wie bei ihnen bekommt man diese jedoch nicht an jeder Ecke serviert.
Tim Caspar Boehme
Tunes of Negation: „Reach the Endless Sea“ (Cosmo Rhythmatic)
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