: Kammer lehrt keineKügelchen-Kunde
Die Ärztekammer Bremen will keine Weiterbildungen zur Homöopathie mehr anbieten. Das verleihe einen falschen Anschein von Wissenschaftlichkeit. Verbieten will sie es aber nicht
Von Lotta Drügemöller
Bremen will ab dem 1. Juli 2020 als erstes Bundesland ÄrztInnen nicht mehr zu HomöopathInnen ausbilden. Die Ärztekammer hat bereits im September eine neue Weiterbildungsordnung für Bremen beschlossen, berichtet der Weser Kurier.
Anders als bei der Diskussion um die Übernahme homöopathischer Mittel durch Krankenkassen spielt Geld dabei keine Rolle: Die Weiterbildung wird von den TeilnehmerInnen selbst gezahlt, der Allgemeinheit entstehen daher keine Kosten.
Für Heidrun Gitter, Präsidentin der Bremer Ärztekammer, ist das aber auch nicht der entscheidende Punkt: „Es ist einfach schwierig, für eine Weiterbildung Lernziele zu definieren und zu überprüfen, für die ich gar keine wissenschaftliche Basis habe“, so Gitter. Denn Studien, die die Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln über den Placebo-Effekt hinaus wissenschaftlich einwandfrei beweisen, gebe es nicht.
7.000 ÄrztInnen in Deutschland haben die Zusatzzulassung als HomöopathInnen. Zuletzt wurden die Anforderungen an ihre Prüfung noch einmal heraufgesetzt. Doch am Grundkonflikt ändert das nichts, findet Gitter: „Natürlich gibt es Lehrsätze in der Homöopathie. Natürlich kann man die auch unterrichten und abprüfen. Aber mit klassischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen hat das nichts zu tun.“
Wenn die Ärztekammer sich trotzdem an der Zertifizierung beteilige, erwecke das einen falschen Eindruck von Wissenschaftlichkeit, sagt Gitter.
Homöopathie geht als Behandlungsmethode auf das 18. Jahrhundert zurück. Samuel Hahnemann entwickelte die Vorstellung, dass Krankheiten am besten mit Stoffen behandelt werden, die bei Gesunden die Krankheitssymptome hervorrufen.
Globuli werden die Zuckerkügelchen genannt, in denen das Gift wirken soll. Über immer weitergehende Verdünnungen in vielfachen Potenzen ist am Ende kein Wirkstoff mehr nachweisbar. Homöopathen gehen davon aus, dass ihre Wirksamkeit sich auf den Zucker übertragen hat.
Die Wissenschaft kennt aktuell keine anerkannte peer-reviewed Studie, die eine Wirksamkeit der Homöopathie beweist – zumindest keine, die über einen Placebo-Effekt hinausgeht.
„Wissenschaftlichkeit“ ist eine der Bedingungen, die die Bundesärztekammer eigentlich von Zusatzausbildungen fordert; auch in Schleswig-Holstein diskutiert die Ärztekammer deshalb, die Homöopathie-Weiterbildung nicht mehr anzubieten. Die Entscheidung soll nächsten Monat fallen.
Die Homöopathie abschaffen will man weder hier noch dort. „Wir wollen niemanden bevormunden“, sagt Gitter. „Wenn eine Mutter ihrem Kind bei einem gebrochenen Bein auch noch ein paar Kügelchen geben will, soll sie das machen. Es schadet nicht.“ Doch der Behandlung einen pseudowissenschaftlichen Status zuzubilligen, das halte sie für falsch.
Kritik an der neuen Linie der Bremer Ärztekammer gibt es vom Zentralverein homöopathischer Ärzte: „Wir sind alle Medizinerinnen und Mediziner“, sagt Michaela Geiger, die Vorsitzende des Vereins. „Wir können die Implikationen einer Behandlung sehr wohl abwägen.“ Tatsächlich sind ÄrztInnen, anders als andere TherapeutInnen immer auch verpflichtet, neben Alternativmedizin auch die schulmedizinische Behandlung anzuwenden, wenn sie notwendig ist – beispielsweise bei einer Krebsdiagnose.
Die Homöopathie deshalb in erster Linie in ärztliche Hände zu geben, hält Gitter trotzdem für eine Scheinlösung: „Auch wenn Ärzte Homöopathie anbieten, kann ja ein Patient entscheiden, zu einem anderen Anbieter zu gehen.“ Die Abschaffung der Ärztekammer-Weiterbildung bedeutet zudem nicht das Ende der Ausbildung insgesamt: Auch der Verein homöopathischer Ärzte biete schließlich eigene Diplome an, sagt Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Henrik Herrmann.
Heidrun Gitter, Präsidentin der Ärztekammer Bremen
Trotz ihrer Akzeptanz für den PatientInnenwunsch nach Homöopathie fällt es Gitter schwer, zu verstehen, warum naturwissenschaftlich ausgebildete ÄrztInnen eine Weiterbildung in anthroposophischer Heilkunde anstreben. „Das wirkt auf mich eher mittelalterlich-archaisch“, sagt sie.
Einen praktischen Vorteil habe die Homöopathie aber für ÄrztInnen und PatientInnen: Die Anamnese wird von den Kassen besser vergütet. „Wenn ich rauskriegen will, was ist, dann muss ich nun einmal mit den PatientInnen sprechen“, so die Bremer Ärztekammerpräsidentin. „Ich bin mir ganz sicher, dass es Kollegen gibt, die das Vehikel Homöopathie nutzen, nur um eine gute Anamnese führen zu können. Ich finde es schlimm, dass Ärzte auf diesen Umweg angewiesen sind. Wir wollen alle mehr Zeit, da sind sich die Ärztekammern einig.“
Einigkeit gibt es hier auch mit der Homöopathin Geiger: „Es wäre per se für alle Hausärzte wichtig, mehr Zeit für das Gespräch zu haben. Die Patienten profitieren davon.“
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