Die Rekonstruktion eines Scheiterns

Mit „The Day the Clown Cried“ versuchte sich der Komiker Jerry Lewis an einem KZ-Film. Eine Doku sucht das Filmphantom zu fassen am Sonntag im Haus der Wannsee-Konferenz

Ein Filmphantom: Jerry Lewis bei den Dreharbeiten zu „The Day the Clown Cried“ Foto: NDR, Rune Hjelm

Von Silvia Hallensleben

Fünf alte Männer tapsen mit einem Rollator und Kleidertaschen durch überdimensionierte Hallen. Es ist ein Filmstudio in Stockholm. Die Männer sind schwedische Schauspieler, die 1972 die Ehre hatten, in einer außerordentlichen europäischen Produktion des US-Komikers Jerry Lewis mitzuspielen. „The Day the Clown Cried“ wurde – auf Vorschlag des Produzenten Nat Wachsberger – ein Lebensprojekt des Regisseurs und Darstellers jüdischer Herkunft, der darin – fünfundzwanzig Jahre vor Roberto Benignis Film „Das Leben ist schön“ – einen gescheiterten Clown mimte, der in ein KZ gerät und am Ende mit dort internierten jüdischen Kindern in den Tod geht.

Es ist eine groß angelegte Produktion, für die Lewis ein Jahr lang unter anderem in Bergen-Belsen und Auschwitz recherchierte und in Stockholm ein KZ nachbauen ließ. Doch der Film wurde zwar fast wie geplant abgedreht, sollte aber bis heute nie eine Leinwand sehen – und wurde so für lange Zeit zur Legende. Mal tauchten irgendwo Raubkopien einer Rohschnittfassung auf, dann wurden einige Filmrollen von einem ehemaligen Mitarbeiter kurz vor der Vernichtung aus einem Filmlager in Stockholm gesichert. Um diese Fragmente herum rekonstruierten 2015 die noch lebenden Darsteller von Lewis’ Team im Stockholmer Studio die fehlenden Szenen – als Hommage an einen Regisseur, der diese Aktion vermutlich nicht unbedingt goutierte.

Zu sehen sind diese szenischen Rekonstruktionen in einem TV-Stück, mit dem der Dokumentarist Eric Friedler 2016 noch einmal die Mysterien um Lewis’ Filmprojekt umkreiste und Geheimnisse teilweise lüftete. „Der Clown“ war Ergebnis hartnäckiger Recherchen und Überredungskünste Friedlers, mit denen er nach dessen jahrzehntelanger Verweigerung auch den 2017 verstorbenen Lewis dazu brachte, sich ausführlich zu seiner Sicht der Ereignisse zu äußern. Der gibt sich in einem Interview selbst die Verantwortung für das Scheitern: Es sei ihm beim Drehen deutlich geworden, dass er den eigenen Maßstäben nicht gerecht werden könne. Er habe unterschätzt,wie sehr ihn die Schicksale der ins Gas geschickten Kinder emotional involvieren würde.

Eine intuitiv richtige Entscheidung, meint Claude Lanzmann, der bekanntermaßen schon lange vehement gegen die Fiktionalisierung der Schoah stritt und einen kurzen Auftritt in Friedels Film hat. Und wenn man die Ausschnitte von Lewis’ Arbeit in „The Clown“ anschaut, möchte man der Einschätzung beider gerne zustimmen: Eine filmhistorische Pioniertat wäre Lewis’ Film sicherlich geworden, ein Meisterwerk nicht. Dazu kam die Tatsache, dass die Figur des mit seinen Späßen scheiternden Clowns auch eine künstlerische Krise des Regisseurs spiegelte. Und dessen Sensibilität dafür, dass eine Verquickung solch privater Motive mit der historischen Realität der Schoah nicht angemessen wäre.

Nicht überraschend, ist Lewis’ Begründung auch nur eine Variante möglicher Wahrheiten, wie aus den Aussagen ehemaliger Mitarbeiter von „The Day the Clown Cried“ in und außerhalb von „The Clown“ hervorgeht. Die machen vor allem den 1992 verstorbenen Projektinitiator und Co-Produzenten Nat Wachsberger verantwortlich, der seine Unterstützung des Films mitten in der Drehzeit aufgab und es unterließ, sich rechtzeitig die Rechte an dem Stoff zu sichern.

Spätere Versuche von Lewis, diese selbst zu erlangen, scheiterten an der Ablehnung seiner Arbeit durch die Autorin. Wenn Lewis also sagt, Benigni habe ihm die Idee zu dem Film gestohlen, hat er nicht ganz recht. Aber auch in Friedlers Film sind diese UrheberInnen (eigentlich war es ein Duo, Joan O’Brien und Charles Denton) ein merkwürdiger blinder Fleck.

„Der Clown“ ist prall gefüllt mit sehenswertem Material, zeigt aber auch, wie schlecht dick aufgetragene Enthüllungsdramaturgie altert. Denn einige Jahre nach der erstmaligen Ausstrahlung des Films in der ARD im Februar 2016 und der Inte­gration seiner Thesen in den öffentlichen Diskurs über „The Day the Clown Cried“ wirken die vielen künstlich hochgetunten Spannungsschleifen und Cliffhanger doppelt nervig.

Das ändert nichts daran, dass hier (neben der wohl nie endgültig zu klärenden Frage nach dem Verhältnis von Schoah und Fiktion) interessante Fragen aufgeworfen werden: etwa die nach einem Begriff von Rea­lismus und Authentizität, der Lewis einen SS-Mann und Massenmörder als Berater engagieren ließ; die Frage nach der Urheberschaft; oder danach, wer das moralische Recht hat, über den Umgang mit kollektiv produziertem Material zu entscheiden.

Gelegenheit zur Diskussion auch mit dem Regisseur des Films gibt es am Sonntag, wenn „Der Clown“ in der vom Haus der Wannsee-Konferenz gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek angebotenen Reihe „Shoah und Film. Wie jüdische Fimemacher den Massenmord erzählen“ gezeigt wird.

„Der Clown“: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Am Großen Wannsee 56–58, Sonntag, 11 Uhr. Eintritt frei