: Toben im Wald bald zu gefährlich
Die Wald- und Natur-Kitas in Schleswig-Holstein befürchten Nachteile durch die Reform des Kita-Gesetzes. Dabei finden alle Parteien die Angebote eigentlich toll
Von Esther Geißlinger
Bei Wind und Wetter draußen: „Eine Wald-Kita ist ein superwertvolles Angebot, weil es genau das bietet, was Kindern heute fehlt“, sagt Irmela Will, Vorsitzende der Elterninitiative „Wühlmäuse“ in Preetz, Kreis Plön, in Schleswig-Holstein. Schließlich seien viele Kinder zu selten an der frischen Luft. Im Jahr 2000 starteten die „Wühlmäuse“ mit einem Spielkreis im Wald, heute gibt es vier Wald-Kita-Gruppen sowie Freizeitangebote für ältere Kinder. Ab Januar sollte eigentlich ein Wald-Hort für Grundschulkinder dazukommen. Mit der Stadt war alles verabredet, eine Wiese gefunden, ein Bauwagen mit Platz für Hausaufgabenbetreuung und Mittagessen bestellt. Nun ist das Projekt gestoppt. „Ohne Förderung von Land und Kreis ist das nicht mehr möglich“, sagt Will. Schuld sei die Reform des Kindertagesstättengesetzes.
In dem Gesetzentwurf heißt es, dass „Naturgruppen nur für Kinder von der Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt gefördert werden“. Damit entfallen sowohl Krippen als auch Horte. „Bundesweit laufen solche Angebote mit Erfolg“, sagt Ute Schulte Ostermann, Vorsitzende des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten. „Es kann nicht sein, dass Schleswig-Holstein als einziges Land abgehängt wird.“ Das zuständige Sozialministerium konnte bis Redaktionsschluss auf die Kritik nicht antworten. Aber die Fraktionen signalisieren Änderungsbereitschaft.
Rund 200 Wald- und Natur-Kitas gibt es im Land, und grundsätzlich loben alle Parteien die pädagogische Arbeit im Freien. Gleichzeitig haben die Gruppen mit bürokratischen Hürden zu kämpfen. 2017 sollten auf einmal die Bauwagen abgebaut werden, in denen Kinder bei Regen oder zum Essen sitzen – es könnte ja ein Baum auf den Wagen kippen.
Die damalige SPD-geführte Regierung erstellte einen Leitfaden, „mit dem wir regeln wollten, dass es keinen Stress mehr mit den örtlichen Behörden gibt“, sagt Serpil Midyatli, in der SPD-Fraktion für den Kita-Bereich zuständig. Ob das so richtig geklappt hat, bezweifelt Schulte Ostermann. Sie findet, dass die Politik „alles kompliziert gemacht hat, was früher einfach war. Und der Leitfaden wird durch die aktuelle Gesetzesreform noch verschlimmbessert“. So ist neben der Altersbeschränkung auf Drei- bis Sechsjährige auch eine zeitliche Beschränkung auf maximal sechs Stunden täglich festgelegt. Zudem gilt die Betreuung in Wald und Flur nur dann als „Naturgruppe“, wenn keine „regelmäßige Förderung in Innenräumen“ stattfindet. „Das ist leider unklar“, moniert Schulte Ostermann. „Schließlich machen Ganztagsgruppen mittags – also regelmäßig – Pause in den Bauwagen, und da findet auch Förderung statt.“ Wird das Gesetz wörtlich ausgelegt, könnten alle Natur-Kitas dicht machen, fürchtet sie.
Ute Schulte Ostermann, Vorsitzende des Bundesverbandes der Natur- und Waldkindergärten
„Wir haben viele gute Betreuungssituationen im Land, die eigentlich nicht zulässig sind, aber zum Glück geduldet wurden“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Eka von Kalben. Doch wenn das Gesetz nun geändert werde, könne man viele Punkte nicht einfach übernehmen. „Dahinter steht die Sorge: ‚Was ist, wenn etwas passiert?’“, sagt von Kalben. Aufgrund der Kritik müsse es aber Änderungen am Gesetzentwurf geben. Die Grünen würden versuchen, mit den Koalitionspartnern CDU und FDP zu einer Lösung zu kommen.
Auch Oppostionsvertreterin Midyatli ist für Änderungen:„Wir haben großes Interesse, dass die Natur-Kitas erhalten bleiben.“ Allerdings verweist sie darauf, dass das Problem der Hort-Finanzierung alle Angebote dieser Art betreffe: „Das Land fördert Horte nur minimal, hier sind vor allem die Kommunen und Kreise gefragt, vor Ort Lösungen zu finden.“ Horte sind personell besser ausgestattet als offene Ganztagsschulen, daher generell teurer – „die Politik will ihnen damit einen Riegel vorschieben“, sagt Schulte Ostermann. Allerdings wären Wald-Horte eine günstige Alternative, schließlich brauchen sie keine Gebäude. „Und die Kombination aus Toben und Hausaufgabenbetreuung ist toll.“
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