: Zwischen Kunst und Protest verfahren
Die Weserburg zeigt die weltweit erste Überblicksausstellung der amerikanischen Polit-Künstlerin Andrea Bowers. Deren Engagement erweist sich dabei leider als arg beliebig
Von Jan-Paul Koopmann
Andrea Bowers’Kunst klagt Haltung ein, für den Widerstand und gegen das Schlechte auf der Welt. Das hätte Weserburg-Chefin Janneke de Vries gar nicht so betonen müssen, weil es einen schließlich aus allen Ecken und Enden der Ausstellung anspringt. „Light and Gravity“ heißt die und ist erstaunlicherweise die weltweit erste Überblickausstellung der rührigen US-Amerikanerin Andrea Bowers. Eine Premiere ist es auch insofern, als dass Janneke de Vries nach der Sammlungspräsentation „So wie wir sind 1.0“ im März ihren Einstand als Direktorin des Sammlermuseums mit dieser Einzelausstellung nun so richtig begeht.
Also ja: Bowers Themen sind samt und sonders wichtig (es geht um Naturschutz, Frauenrechte, Waffen und so weiter). Und weil auch der Bremer Anlass höchst erfreulich ist – macht es umso unzufriedener, dass die Schau so recht nicht zündet.
Da ist etwa Bowers’Sammlung von Protestslogans, die sie auf Geschenkpapier verarbeitet hat. Der arbeiterbewegte Evergreen „Don’t mourn, organzie!“, steht da, oder „Ignore Your Rights And They‘ll Go Away“. Ein bürgerrechtlicher Allgemeinplatz, den inzwischen längst auch die Freunde privaten Waffenbesitzes halb-ironisch im Anschlag führen. Das bunte Papier soll nun wohl den Bruch transzendieren zwischen handfester Politik und spielerischer Praxis. Das Problem ist nur: Der ästhetische Dreh zählt längst auch für die Protestbewegungen selbst zum routinierten Tagesgeschäft. Und dass die Grenze zwischen Kunst und Widerstand, an der Bowers sich positionieren will, durchlässig geworden ist, tut dem Gros ihrer Arbeiten nicht gerade gut.
Sonderbar bleibt auch ihr Versuch, die globale Protesterzählung im Bremer Geschehen zu verankern. Ausgerechnet die Baumgedichte an den bedrohten Weserplatanen hat sie nun an die Wand geworfen. Rätselhaft bleibt, wo der ästhetische Überschuss herrühren soll, wenn wer aus politisch in Beschlag genommener Weltliteratur wieder neue Kunst macht.
Janneke de Vries hat ganz bestimmt recht, wenn sie darauf besteht, dass man als Kunstmuseum heute zwar Flagge zeigen müsse, das aber nicht auf Kosten künstlerischer Qualität gehen dürfe.
Und es gibt auch bei Bowers Momente, in denen noch Widersprüche schwelen. Diese LED-Leuchtschrift, auf der „Trust Women“ in wechselnden Farben pulsiert, ist so ein Fall. Die Forderung ist klar: Sie stammt aus dem #MeToo-Kontext und erinnert an das gesamtgesellschaftliche Versagen, so lange weggehört und nicht geglaubt zu haben. Dass die Schrift hier flackert, zeigt die Brüchigkeit des Erreichten, die bunten Farben transportieren Zweifel am Spektakel. Wegen solcher gänzlich ironiefreien Ambivalenzen kann politische Kunst mehr zu sagen haben als bloßer Protest. Und akzeptiert man die prominent platzierte Installation als Schlüssel für Andrea Bowers’Werk, dann lässt sich auch dem engagierten Rest etwas abgewinnen. Nur wäre das schon sehr viel verlangt.
Trotz eindeutiger Verweise auf etwa Walter Cranes antikapitalistische Zeichnungen oder Emma Goldmans feministische Literatur will sich Bowers gar nicht ausdrücklich in die Geschichte politischer Kunst einschreiben. Die Avantgarden kommen nicht vor und es führt schlicht kein Weg von Guernica zu den Platanen an der Weser. Sie nimmt nur Teil an den sozialen Bewegungen und gibt ihren subjektiven Senf dazu.
Da hat sie etwa einige Zeit mit Baumbesetzer*innen verbracht und sich von einem Aktivisten skizzieren lassen, wie die optimale Besetzungsplattform aussehen würde. „Wie ein Piratenschiff“, soll der geantwortet haben. Das mag etwas albern gesagt und verräterisch poetisch gedacht sein – doch für Bowers war es vor allem eine Jungsfantasie, die sie feministisch zerlegen oder ergänzen wollte. „Patriarchy“ steht nun auf dem nachgebauten Schiff, über den Konturen einer Kettensäge.
Sicher lässt sich darüber streiten, ob die Totenkopfflagge nun wirklich eine Männerfantasie ist (Piratinnen wie Anne Bonny oder Mary Read hätten da möglicherweise Einwände), aber mindestens damit hat Andrea Bowers ja recht: dass nur weiterkommt, wer die Kämpfe zusammendenkt. Bei Bowers stehen die fraglos verdienstvollen Kämpfe nur nebeneinander. Und das ist trotz weniger Ausnahmen insgesamt eher dürftig.
„Andrea Bowers. Light and Gravity“ ist bis zum 23. 2. 2020 in der Weserburg zu sehen
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