dvdesk: Tempo, Spaß und Spiel mit Klischees
Augen auf bei der Geiselwahl! Andererseits nicht ganz einfach: Da kommt man nach einem etwas hektisch geratenen Diamantenraub aus dem Laden, einen unerwarteten Verfolger mit Revolver an der Hacke, die ganze Fußgängerzone geht erschrocken zu Boden. Außer Franziska (Karoline Herfurth). Franziska ist nämlich in ihrem eigenen Film, ziemlich durch den Wind, wie man schon sah, wegen Panikattacken beurlaubt. Mel, die Räuberin (Hannah Herzsprung), schnappt sich diese last woman standing, das ist mit geradezu bollywoodeskem Schwung inszeniert, rasant geschnitten, die Kamera fliegt, die Kamera wird auch im weiteren Verlauf gerne fliegen, auf der Tonspur „Fever“ dazu: Mel fährt mit ihrer Geisel Franziska auf und davon, hinein in einen Film, der den bis dahin schon breit gestreuten Genre-Signalen in alle möglichen Richtungen folgt.
Ein Kriminal- und Gangsterfilm bleibt das, mit beträchtlichem Komödienanteil. Ein Frauen-Buddy-Movie wird es aber auch, aus dem Stockholm-Syndrom wird, wenngleich es seine Zeit braucht, erst komplizenhafte Fluchtsolidarität, dann unverbrüchliche Freundschaft. Karoline Herfurth will in ihrem zweiten Film als Regisseurin eine ganze Menge, wenn nicht noch mehr.
Was sie nicht will, ist Kunst im Autorinfilmsinne, sondern Arbeit im Genre oder am Verbinden von Genres, sie will das Spiel mit Klischees, auch und gerade mit Geschlechterklischees, über die es zwar selten wirklich grundsätzlich hinausgeht, aber dass die Klischees noch funktionieren, wenn man sie weiblich umkonnotiert, darum geht es in „Sweethearts“ eher zuerst als zuletzt. Denn Herfurth will Tempo, Spaß, populär soll es sein, aber das Publikum will sie nicht für so blöd halten, wie es deutsche Komödien sonst gern tun.
Und alles in allem gelingt das. Der Film ist nach den strikten Regeln komödiantischen Timings wie spannungsmäßigen Thrills mit seinen eindreiviertel Stunden vermutlich ein bisschen zu lang, aber erstens schaut man, auch wenn er mal ein klein wenig durchhängt, trotzdem gern zu. Und zweitens nutzt Herfurth die Zeit für vernünftige Dinge. Fast unvermerkt werden die Beteiligten von Witzfiguren zu Menschen, ein junger Polizist etwa, der sein Baby, weil die Frau überfordert ist, mit in den Streifendienst nimmt, aber auch die unfassbar schlecht gelaunte Kriminalbeamtin Ingrid von Kaiten, mit der Anneke Kim Sarnau ihre Polizeiruf-Rolle weniger parodiert als hinreißend konterkariert.
Überhaupt sind alle Darstellerinnen und Darsteller viel toller, als man sie in Film oder Fernsehen sonst sieht. Sehr auf den Punkt, auch die in den kleineren Rollen, Ronald Zehrfeld etwa als Gangster mit (am Ende dann doch zu wenig) Herz, Katrin Sass als Franziskas resolute Mutter, und erst recht Frederick Lau in einer sehr viel größeren Rolle als Polizist, weitere Geisel und dann auch noch von der zusehends selbstbewussten Franziska mehr als nur ins Auge gefasstes Sex- und Liebesobjekt. Herfurth selbst hat keine Hemmungen, ihre Figur nach und nach aus dem fast Lächerlichen ins ganz schön Tapfere zu überführen.
Ein bisschen bange wird einem schon, je weiter sich das Gangsterinnenpaar ins Kriminelle und der Film in seine wilde Genremischung hineinreitet. Kann das gut gehen? Ja, irgendwie geht es gut, die Plot-Auflösung hat viel feministischen Charme und alles endet, wie der ganze Film ist: nah am Genre-Klischee, aber mit Willen zur untergründigen Ernsthaftigkeit, kein ganz großes Ding, aber Herz am rechten Fleck, genuin komisch und alles andere als blöd. Einziger Schönheitsfehler: Im Kino wollten das im Frühjahr nicht so arg viele sehen. Nachholen lohnt sich. Ekkehard Knörer
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