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: Ein Leben ohne die Maschine ist möglich

Nicht mehr lange und die Maschine steht still!“ Als der englische Schriftsteller E. M. Forster seinem Protagonisten Kunó in der Science-Fiction-Story „Die Maschine steht still“ diese Worte in den Mund legte, muss das für die Leser*innen ein Schuss vor den Bug gewesen sein. Es war im Jahr 1909, die Industrialisierung beschleunigte die Gesellschaft, der Weiterentwicklung von Maschinen wohnte ein Heilsversprechen inne. Doch Forster, der in Deutschland vor allem durch die großartigen Verfilmungen seiner gesellschaftskritischen Romane „Zimmer mit Aussicht“ (1985) und „Wiedersehen in Howard’s End“ (1992) berühmt wurde, hat mit seiner Kurzgeschichte seherische Fähigkeiten bewiesen.

In „Die Maschine steht still“ leben die Menschen unter der Erdoberfläche in winzigen, wabenförmigen Zimmerchen ohne Tageslicht und ohne direkten Kontakt mit anderen Menschen. Auf der Erdoberfläche ist (angeblich) kein Überleben mehr möglich. So wird ihr Dasein nun von „der Maschine“ organisiert, Essen, Betten, Bäder – aller Komfort kommt per Knopfdruck aufs Zimmer. Kommuniziert wird per Holotelevision, was dem heutigen Skypen entspricht. Es geht zwar um Ideenaustausch, allerdings „aus zweiter Hand“, eigene Ideen sind nicht erwünscht. Eine komplette Vergeistigung wird angestrebt, aber nicht im philosophischen Sinn. Gemeint ist eine komplette Entkörperlichung. Entsprechend sind die Menschen nur mehr muskellose Fleischberge mit blasser Haut. Persönlicher Austausch gilt als unnütz.

Vasháti, Mutter von Kunó, die wie die meisten Menschen nicht bemerkt hat, wie die von Menschenhand zur Lebenserleichterung erschaffene künstliche Intelligenz sich verselbstständigt hat und inzwischen die Lebensform diktiert. Korrektes Verhalten entnehmen die Menschen „dem Buch“, wer nicht maschinenkonform lebt, dem droht „Heimatlosigkeit“, also der Rauswurf aus der Wabe auf die Erdoberfläche – ein Todesurteil.

In seiner vom NDR produzierten Hörspiel­adaption fokussiert sich der Hamburger Musiker und Hörspielmacher Felix Kubin nicht auf die frappierenden Ähnlichkeiten aus Forsters dystopischer Geschichte mit der heutigen Technologie. Er stellt einen gregorianisch-brechtschen Chor „Wie Engel, befreit vom Makel der Persönlichkeit“ neben gehirngewaschene Bemerkungen von Vasháti: „Abbilder sind die wahren Bilder der Wirklichkeit“, die er in Werbe-Jingle-Ästhetik präsentiert. Äußerungen der Maschine kommen als zackiger Synthie-Pop daher, musikalische Einflüsse von Der Plan bis The Residents klingen an. Überzeugungen, mit denen die Menschen infiltriert sind, werden als Sprechgesänge gedroppt. Durch die Gegenüberstellung dieser von warm bis kühl konnotierten Musikstile unterstreicht Kubin, dass Forsters Text ein humanistisches Plädoyer ist, ein Bekenntnis zu Individualismus und Nonkonformismus.

Sprecherin Susanne Sachsse hält in der Rolle der Vasháti bis zum Schluss fast trotzig an der Überzeugung fest, dass die Maschine unfehlbar ist, macht Vashátis Empörung über unnötige Unannehmlichkeiten – sie muss eine Reise machen, auf der sie mit Menschen „in direkter Rede“ kommunizieren muss – greifbar, lässt aber auch Zweifel zu und fügt ihrer Stimme am Ende hysterisch-trotzige Angst hinzu.

Während Vashátis Vokabular durchtechnisiert ist, äußert sich Kunó, der ein Leben ohne die Maschine für möglich hält, fast poetisch. Rafael Stachowiak spricht ihn mit einer Milde, die mal in Verzweiflung, mal in Wut umschlägt. Immer ist da das Gewummer der Maschine, nur die Passagen, mit denen Achim Buch als Erzähler die Story nüchtern vorantreibt, stehen ohne Geräuschteppich im Raum. Sylvia Prahl

E. M. Forster, Felix Kubin: „Die Maschine steht still“. Hörspiel mit A. Buch, S. Sachsse, R. Sta­chowiak u. v. a. Der Audio Verlag 2019, 1 CD, 12 Euro