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Die Grenzen der Kunst

Im HAU findet derzeit das Anti-Mietwucher-Festival „Berlin bleibt“ statt. Das Diskursbegleitprojekt hebt trotz guter Ideen noch nicht richtig ab: Vom versprochenen Widerstand ist (bislang) wenig zu spüren

Installation von Kotti & Co, „Der Kotti ist kein Ponyhof“ Foto: Hebbel am Ufer

Von Tom Mustroph

„Berlin bleibt“ steht in großen Lettern am Eingang vom Flachbau des alten Postturms am Halleschen Ufer. Die Sicherheitsleute, die den Postturm bewachen, können mit dem Spruch wenig anfangen. Sie nehmen nicht einmal recht zur Kenntnis, dass etwa 50 Meter weiter das HAU eine Außenstelle seines Anti-Mietwucher-Festivals unter diesem Titel betreibt.

Ein symptomatisches Bild. Denn trotz der Berliner Dauer­themen Mietenexplosion und soziale Verdrängung blieb die Außenspielstätte seltsam leer, zumindest am zweiten Tag des Festivals. Im Foyerbereich der alten Postfiliale drückten sich nur ein paar verlorene Gestalten herum. Sie liefen zur Wand, an der Schü­ler*innen der Hector-Peterson-Schule gemeinsam mit den Künst­ler*in­nenkollektiv L. A. Müller biografische Statements zum Leben am Kottbusser Platz präsentierten. Vom versprochenen Kampf und Widerstand – immerhin ist das Projekt mit dem markigen Spruch „It’s a battlefield, baby!“ überschrieben – ist allerdings wenig zu spüren.

Deutlicher wird dies schon bei der Filminstallation „Der 360.000-Euro-Blick“ von Ina Wudtke. Die Künstlerin filmte von ihrer einstigen Wohnung in Richtung Fernsehturm und erzählt, während sich das Licht in dieser One-Shot-Einstellung über die Dächer der Stadt ein wenig ändert, aus dem Off davon, wie ihr damaliger Vermieter sie aus dieser Wohnung trieb. Der Bildschirm ist in die Skulptur einer rot gefärbten und zur Faust geballten Hand eingelassen.

Solchen Aufruf zum Wi­der­stand brauchen die Ak­ti­vist*innen von „Kotti & Co“ nicht mehr, zum Glück. In einem alten Betriebsraum der Postbank gibt eine Multimedia-Installation Auskunft über das Leben und über die Kämpfe in der Nachbarschaft, die medial gern als Problemkiez abqualifiziert wird. Stimmen ganz ­unterschiedlicher Bewohner sind zu hören. Eine Männerstimme berichtet mit etwas kritischem Unterton von den Partys, die dort immer stattfinden. Eine helle Kinderstimme korrigiert: Das sei doch nur samstags so.

Die Vielsprachigkeit des Kiezes wird deutlich, die Verweilqualität betont. Zur Sprache kommen auch die Beeinträchtigungen, die es gibt, seit das Neue Kreuzberger Zentrum zur Touristenattraktion mutierte. Nun muss jede Person, die eine Wohnung mit Fenster zum Platz herunter bewohnt, damit rechnen, beim Öffnen der Fenster vielhundertfach auf Instagram und Facebook aufzutauchen.

Die Forderung nach Rekommunalisierung wird selbstverständlich auch gestellt. Und ein Wandbild hat gar das Potential, die Hipster-Fraktion innerhalb des HAU-Publikums nachdenklicher zu stimmen. In zwei großen Sprechblasen wird gefragt: „Wie viele Co-Working-Spaces & Start-ups braucht es, um eine Nachbarschaft abzufucken?“

Leider enttäuschend verlief die Begegnung mit der künstlerisch wohl avanciertesten Position: „Haunted Landlord“ vom Peng! Collective. Die Gruppe hat neun Häuser aus ihrem aktuell 15 Häuser umfassenden Portfolio entmieteter Wohnimmobilien ausgesucht. Die Häuser stehen in Berlin und Leipzig, München und Erkrath, alle sind Beispiele für die Praktiken von Hausbesitzern, ihre Mieter zwecks Wertsteigerung der Immobilie einfach herauszuschmeißen. Der Clou ist, dass man die Besitzer anrufen und sie mit Beschreibungen ihrer übelsten Methoden konfrontieren kann.

Zwei Telefone sind daher in einem früheren Kundenberatungskabuff der alten Postbank installiert. Bei einem Vermieter hört man bei Anruf nicht mal das Freizeichen. Bei einem anderen stellt sich heraus, dass auch üble Hausbesitzer nicht notwendigerweise dumm sind. Viele haben ihre Telefone abgestellt. Andere drücken schnell auf „Anruf abweisen“. Nur eine Hausbesitzerin aus Leipzig lässt sich überraschen und ist mit einem zaghaften „Hallo“ zu vernehmen. Ein bisschen wenig für ein groß angekündigtes Vermieter-Ärger-Projekt.

So kommt es, dass dieser „Projektraum urbaner Aktionen“ seine Strahlkraft nicht von den Künst­ler*innen, sondern von den Aktivist*innen bezieht. Die Poetik ihres Widerstands hat der vielschichtige Dokumentarfilm „Miete essen Seele auf“ sehr berührend eingefangen. Den kann man in einer Ecke gleich neben der „Kotti & Co“-Installation in voller Länge genießen. Um die gelebte Vielfalt vom Kottbusser Tor zwei U-Bahn-Stationen weiter im Westen zu erreichen, muss der Projektraum des HAU am Halleschen Ufer noch zulegen.

Vielleicht klappt es ja am Samstag, den 5. Oktober, wenn bei der „Werkstatt zur Enteignung und Vergesellschaftung des Wohnens“ zahlreiche Berliner Initiativen ihre Ideen zusammenwerfen. Dann würde dieses Kunstprojekt über ein großes soziales und politisches Problem auch endlich Wirkungsmacht entfalten.

„Berlin bleibt“, bis 5. Oktober im HAU und in der ehemaligen Postfiliale

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