Schmales Œuvre in bleierner Zeit

Fragen der Verarmung, Verelendung und die Möglichkeit einer Revolution: Das Kino Arsenal zeigtalle Filme von Wolfgang Höpfner, der als politischer Dokumentarfilmer an der Berliner dffb studierte

Eine Hommage an den Leser, (hier gemalt von Vilhelm Hammershøi (1864–1916), Interieur mit lesendem jungen Mann, 1898), ist auch Höpfners Film „Der ewige Tag“ Foto: The Hirschsprung Collection, Kopenhagen

Von Peter Nau

Wie man zu sagen pflegt, dass kein Unglück allein komme, so trifft dies auch auf das Glück in ähnlicher Weise zu. Manchmal hat es einen Namen, im Falle von Wolfgang Höpfner den von Professor Leo Kreutzer. Dieser brachte den Germanistikstudenten mit dem Fernsehen in Berührung. 1974 und 1976 entstanden beim WDR und in Coproduktion mit ihm der Dokumentarspielfilm „Gruselkrimis in der Hauptschule“ und der Lehrspielfilm „Was Eltern fordern und Kinder leisten“ (beide Male Regie: Peter Goedel, Wolfgang Höpfner und Thomas Lichte). Eine Lehrerin und ein Lehrer, daran gewöhnt, eine Richtung zu empfangen, geben sich darin selbst eine Richtung, um dem täglichen Abgenütztwerden zu entgehen.

Auch Wolfgang Höpfner tat diesen Schritt und begann ein Studium an der dffb. Er wollte politische Dokumentarfilme machen, ohne dass er sich der Unterscheidung Godards zwischen „1. Wir müssen politische Filme machen“ und „2. Wir müssen politisch Filme machen“ schon bewusst gewesen wäre. Es entstanden (Co-Regie: Norbert Weyer): „Zwei Protokolle“ (1978), ein halblanger Film, der bei den politischen Gruppen, die Gefangene unterstützten, zum Renner wurde, sowie der ebenfalls um den Mordprozess gegen die politischen Gefangenen Roland Otto und Karl Heinz Roth kreisende „Vor vier Jahren, vor zwei Jahren“ (1977–79). Zwei Filme, die – über vierzig Jahre hinweg immer wieder einmal gesehen – mir heute die Prognose Kafkas in Erinnerung rufen: „Wir leben in einer so von Dämonen besessenen Zeit, daß wir das Gute und Gerechte bald nur noch in tiefster Verschwiegenheit wie einen Rechtsbruch werden verwirklichen können. Der Krieg und die Revolution klingen nicht ab. Im Gegenteil! Durch das Erkalten unserer Gefühle steigt ihre Glut.“

Das Leben floss dahin, nahm weiterhin seinen Lauf. Wolfgang Höpfner heiratete, sie bekamen Kinder; Geldnöte. Was tun? Aber da war ja noch Leo Kreutzer, der einsprang. Es entstand an der dffb „Der ewige Tag“ (1983) und daraufhin – in der Einsamkeit der Leineberge, im Dörfchen Capellenhagen – die wunderbare, diesen Abschlussfilm kommentierende Abhandlung „Lesen und Sehen“. „Zufällig“, steht da geschrieben, „wurde ich auf die Gurre-Lieder von Schoenberg neugierig und ließ sie mir von der freundlichen Dame auflegen. Der Anfang des Films, seine ersten Bilder waren gefunden.“

Ein Flaneur (Wolfgang Höpfner) gibt sich in der Passerelle, Hannovers unterirdischer Fußgängerzone – so wie seine Vorläufer im 19. Jahrhundert es in den „faltigen Mäandern der alten Metropolen“ taten –, seinen Eindrücken hin. Fragen der Verarmung, Verelendung, die Möglichkeit einer Revolution beschäftigen ihn. Er trägt immer ein Buch mit sich, jedes Mal ein anderes, aus denen er in den verschiedensten Situationen rezitiert. Diese Szenen gehen zwanglos, wie beiläufig aus den Passerelle-Impressionen hervor und wir spüren dann: die platonische Kraft einer Dichtung ist stärker als die historische Realität.

Auswahl und Art des Vortrags der Textpassagen verraten Fingerspitzengefühl. Da dem laut und doch gleichzeitig ganz für sich Lesenden bis auf eine Ausnahme im Film niemand zuhört, bekommen seine ebenso weltabgewandten wie exzentrischen Auftritte eine zart ironische Note. Nur einer hört zu: ein junger Mann, der vor einem Café sitzt, in dem Billard gespielt wird. „Am Morgen stand er neben ihrem Bett …“ beginnt ein Ausschnitt aus Jens Peter Jacobsens Novelle „Mogens“. Auf einer anderen Novelle dieses Autors beruhen Schoenbergs Gurre-Lieder, mit deren zweiter Strophe der Film ausklingt.

Zu sehen in der Reihe „Filme von Wolfgang Höpfner und Peter Goedel“, 1. bis 8. Oktober, Kino Arsenal