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Mit dem Tiger schlafen

Die Künstlerin als Antiheldin: Zu ihrem 100.Geburtstag wird die lange unterschätzte Malerin Maria Lassnig auch in der Wiener Albertina geehrt

Von Gabriela Walde

Kompromisslose Künstlerinnen gibt es nicht wenige, die ihren Körper und ihr Ich schonungslos in die Kunst eingebracht haben: Die Käfigmeisterin Louise Bourgeois gehörte dazu, Performance-Star Marina Abramovićhat ihre Tour de Force längst in einer Biografie veröffentlicht. Spät entdeckt wurde Maria Lassnig, die zähe, eigenwillige Körperexorzistin aus Kärnten. Eine Außenseiterin, die sich nicht anpassen wollte, und ihr Leben lang damit haderte, dass sie verkannt wurde. Erst jenseits der 60 bekam sie weltweit Anerkennung für ihre „Körperbewusstseinsbilder“. Lust, Trauer, Angst, Einsamkeit versuchte sie mit dem Pinsel zu domestizieren, wenn sie ihren nackten Körper malte. Ihre Farben: giftiges Gelb, grelles Grün, helles Türkis. Darf man Haut so malen?

In diesem Jahr wäre die Österreicherin 100 Jahre alt geworden. Gefeiert wird sie vielerorts als eine der einflussreichsten Malerinnen des 20. Jahrhunderts. Linz und Klagenfurt waren die ersten, die Staatsgalerie Stuttgart präsentierte ihre Werke bis August, das Münchner Lenbachhaus machte einen „Body Check“ von ihr und Martin Kippenberger. Da die Albertina erst vor zwei Jahren mit „Zwielicht“ ihre Zeichnungen zeigte, beschränkt man sich nun mit 80 Werken auf die Malerei. Lassnigs Filme bekommen – in Kooperation mit dem Wiener Filmmuseum – die große Leinwand. In Amsterdam wartete die Jubiläumsschau mit gewaltigen 250 Arbeiten auf.

Wer eine Ausstellung mit Maria Lassnig besucht, muss wissen, es wird nicht schön. In der Albertina gibt es dieses Bild „Du oder Ich“ (2005), das vielleicht besser als jedes andere ihre rigorose Haltung und ihren künstlerischen Ansatz zum Ausdruck bringt. Ein Knall in der Stille: Da sitzt sie, die schon alte Frau, nackt mit gespreizten, schlaffen Beinen, vor uns. Sie starrt uns herausfordernd an. Mit der Linken hält sie sich eine Pistole an die Schläfe, mit der rechten zielt sie direkt auf uns. Ich: die Künstlerin als Antiheldin, die mit sich ringt, der Verzweiflung nah, trotzdem stark genug, Entscheidungen zu treffen. Du: der Betrachter, den sie auf Distanz hält, ihn zugleich zwingt, sie und ihre Kunst anzuschauen.

Und genauso verhält es sich mit der Schau „Ways of Being“, die auffächert, mit welcher Radikalität – auch sich selbst gegenüber – Maria Lassnig ihre Malerei über die Jahrzehnte durchgezogen hat. Selbst in ihren abstrakten frühen Phasen war es ihr Körper, der den pastosen Linien die Form vorgab, dabei lag sie beim Malen oft auf dem Boden. Sie befreit ihn von jeder Form erotischer Aufladung und der Schönheitsideale.

Zu eng im „Fraueneckerl“

Nach dem Studium der Malerei an der Wiener Akademie nutzt sie anfangs die Strömungen wie den Kubismus, Expressionismus und Surrealismus für sich. 1960 geht sie nach Paris, aber hier hat Malerei nicht den Stellenwert, den sie sich erhofft hat. Ende der Sechziger verlässt sie die Seine-Metropole Richtung New York. Doch auch in der quirligen Kunststadt hat sie einen schlechten Stand, Performances, Konzeptkunst und Minimal Art sind angesagt. Da kommt diese „strange“ Österreicherin mit figurativer, noch dazu auf Empfindung ausgerichteter Malerei. Um zu zeigen, dass sie überhaupt malen kann, werden ihre Bilder hier offener, realistischer, doch ihre groteske Anmutung verlieren sie nie. Sie malt Selbstporträts mit einer Riesengarnele auf dem Schoß, einem TV-Gerät zwischen den Beinen und mit einem Tiger auf dem Bauch (1975). In „Woman Lao­koon“ (1976) kämpft sie gegen die Schlange, in „Woman Power“ (1979) stapft sie wie King Kong über die Dächer von Manhattan. Ein feministisches Motiv, gerichtet gegen die Vorherrschaft der Männer in der Kunstszene. Als Feministin aber wollte sie nie bezeichnet werden, in dem „Fraueneckerl“ war es ihr dann doch zu eng.

Ihre Ortswechsel erschwerten ihre öffentliche Wahrnehmung. Sie musste jedes Mal wieder ein neues Netzwerk aufbauen. Lassnig hätte zwar einzelne Erfolge gehabt, genug war ihr es nie, erzählt die Wiener Kuratorin Antonia Hoerschelmann. Sie trennte sich nur ungern von ihren Werken, daher gab es keine große Auswahl, die Galerien hätten anbieten können.

Als die Künstlerin 1980 nach Wien zurückkehrt, erlebt die Malerei mit der Transavantgarde und den jungen Wilden gerade einen Aufschwung. Erstmals erfährt sie durch ihren Professorenjob an der Hochschule für angewandte Kunst finanzielle Sicherheit, für sie befreiend. Gemälde wie der lila-pinkfarbene „Heroische Mistkübel“ (1981) zeigen, dass sie durchaus mit Wiener Schmäh gesegnet war. Zwei Jahre später wird sie zur Documenta 7 eingeladen, 1988 bekommt sie als erste bildende Künstlerin den Staatspreis. 2013, da ist sie 93 Jahre, erhält sie den Goldenen Löwen der Venedig-Biennale. Da war sie bereits zu schwach zum Reisen.

Gemalt hat sie bis zuletzt. Altersmilde? Im Gegenteil. Sie arbeitete ihre Themen geradezu therapeutisch ab. In „Illusion der versäumten Mutterschaft“ (1997) malt sie sich mit geschundenem Leib, wie sie sich die amorphe Geburtsmasse zurück in den Bauch schiebt. Sogar einen Froschkönig gibt es, der hockt in ihrem Schoß – ein Prinz wird er nicht mehr, und sie keine Prinzessin. Mit den Männern sollte es nie eng werden. Dem Thema Tod weicht sie im „Krankenhaus“ (2005) nicht aus, selbst ihr langsames Entschwinden („Vom Tode gezeichnet“, 2011) bringt sie auf die Leinwand. Ihr fahles Gesicht versinkt langsam im orangefarbenen Farbmeer.

Albertina, Wien, bis 1. Dezember

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