Baselitz, Richter, Polke, Kiefer: Vier Meister unter einem Dach

Die Ausstellung „Baselitz, Richter, Polke und Kiefer“ in den Hamburger Deichtorhallen bietet viel Angriffsfläche. Sie ist trotzdem gut.

Anselm Kiefers "Heroisches Sinnbild VII" von 1970: Ein Mann steht auf einer Wiese und zeigt den Hitlergruß.

Ein Link zu Baselitz' Heldenbildern: Anselm Kiefers „Heroisches Sinnbild VII“ von 1970 Foto: Atelier Anselm Kiefer

HAMBURG taz | Im Foyer der Hamburger Deichtorhallen hängen vier großformatige Fotos; ein vierflügeliger Altar, auf dem man die Meister anbeten möge. Ganz links Georg Baselitz, 29-jährig mit strengem Scheitel und lässiger Zigarette im Mundwinkel. Dann Gerhard Richter, grübelnd, in sich gekehrt. Es folgt Sigmar Polke in einer extrem stilisierten Aufnahme, herrisch, vielleicht sogar überheblich, und einzig das Bubigesicht bietet einen Kontrast zur aggressiven Souveränität der Selbstinszenierung. Und schließlich Anselm Richter, ein Schrat in einem gewollt zufälligen Arrangement im Atelier. Vier „alte Meister“ in „jungen Jahren“, und das Publikum blickt auf zu diesen Künstlerhelden.

Was eine unfaire Deutung ist – der Ausstellung „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der alten Meister“ geht es nicht um die Inszenierung von Künstlerhelden. Das funktioniert schon alleine deswegen nicht, weil die vier heute zwischen 80 (Baselitz) und 73 (Kiefer) Jahre alten Künstler nicht zu Helden taugen. Zwar arbeitete Baselitz ab 1965 an der Werkgruppe der „Neuen Helden“, das aber waren gebrochene Figuren, die mehr eine Antithese zum soldatischen Souverän darstellten und die zudem kurz darauf in den „Frakturbildern“ dekonstruiert wurden.

Wenn die Ausstellung, die zunächst in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen war und jetzt nach Hamburg wanderte, aber nicht über die (Selbst-)Inszenierung der vier Künstler eine Gemeinsamkeit herstellen kann, über was dann? Über künstlerische Nähe? Alle vier sind Maler, aber sonst? Über thematische Verbindungen? Die liegen vor allem im Zeitbezug, in den frühen Sechzigern als (im Katalog klug herausgearbeitete) Umbruchszeit, zwischen Wirtschaftswunder, Nachkriegsjahren und 68er-Revolte, was ebenfalls nur halb­originell ist. Kurator Götz Adriani findet die Gemeinsamkeit vor allem: im internationalen Erfolg.

Adriani ist als Ausstellungsmacher eine Legende, an der Kunsthalle Tübingen entwickelte er in den Neunzigern das Konzept der Blockbuster-Ausstellungen, wie Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow anerkennend bemerkt. Und tatsächlich ist Adriani jemand, der vom Erfolg begeistert ist: Die (durchaus diskutable) These seiner Schau ist, dass deutsche Kunst mit wenigen Ausnahmen (Dürer! Holbein! Elsheimer!) bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts international unbedeutend gewesen sei; erst eine New Yorker Ausstellung Kiefers 1988 und der nachfolgende Erfolg von Baselitz, Richter und Polke habe den Durchbruch in die Moderne ermöglicht.

Kommerzielle Türöffner

Die vier Künstler sind für Adriani also vor allem kommerzielle Türöffner, in deren Folge dann auch weitere Künstler von Kippenberger bis Rauch internationale Erfolge erzielen konnten.

Diese Konzentration aufs Kommerzielle erklärt (zumindest auf den ersten Blick), weswegen hier eine reine Männerriege gezeigt wird. Adriani: „Es gab damals einfach keine erfolgreichen Frauen!“ Dass freilich Luckow ihm hier ins Wort fallen musste, um zu erwähnen, dass neben Eva Hesse auch beispielsweise Hanne Darboven und Katharina Sieverding Ende der Sechziger erste Schritte in der Kunstwelt unternahmen, zeigt, auf welch tönernen Füßen der Grundgedanke der Ausstellung steht.

Ach, es wäre so einfach „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ nicht gut zu finden. Allerdings übersieht man dabei: Die Ausstellung ist eben doch gut. Sie ist konzentriert auf ihr Sujet, sie ist umfangreich, sie versammelt Hochkarätiges, an wenigen Stellen ist sie sogar tatsächlich überraschend, wo beispielsweise Richters Film „Volker Bradke“ (1966) dessen malerische Verwischungstechnik in ein neues Medium überträgt. Allerdings bleibt sie unzusammenhängend: Im Grunde sind es vier Einzelausstellungen unter einem Dach, die große Deichtorhalle ist in mehrere gleich große Räume unterteilt, die mit den jeweiligen Künstlern bespielt werden, streng voneinander abgetrennt. Einzig in der Hallenmitte gibt es einen Punkt, von dem aus man Werke aller Künstler sehen kann – aber weswegen sollte man? Das kuratorische Konzept jedenfalls legt keine Verbindungslinien nahe.

Also wandert man von Künstler zu Künstler: zu Baselitz’ Frühwerk mit wichtigen Hässlichkeitsstudien wie der „Großen Nacht im Eimer“ (1962/62), den Heldenbildern, der Dekonstruktion des eigenen Realismuskonzepts in auf den Kopf gestellten Gemälden wie „Industrielandschaft“ (1970).

Es folgen die Fotogemälde Gerhard Richters, deren Quellen meist mustergültig recherchiert sind – „Bomber“ (1963) nach einer Vorlage aus der Zeitschrift Quick, „Motorboot“ (1965) nach einer Anzeige, die Richter im Stern entdeckt hatte, schließlich „Sekretärin“ (1963), das auf eine Skandalgeschichte aus der Neuen Illustrierten verweist und so eine zweite Ebene hinter dem Bild aufnimmt.

Ein wenig schade ist, dass Richters „Familienbilder“ als Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Geschichte weitgehend in der Ausstellung fehlen: Ein Bild wie „Familie am Meer“ (1964) als Abarbeiten am eigenen Nazi-Schwiegervater hätte der Präsentation eine sonst ausgesparte politische Schärfe verleihen können.

Immerhin erhält die Ausstellung später durchaus politische Sprengkraft, mit Anselm Kiefers NS-mythologischen „Heroischen Sinnbildern“ – Gemälden, die die frühen Aktionen unter dem Titel „Besetzungen“ wieder aufnehmen und so einen Link zu Baselitz’ Heldenbildern herstellen. Kiefer ist ansonsten wenig präsent in der Ausstellung, als jüngster Teilnehmer, der im Gegensatz zu den drei anderen Künstlern als gebürtiger Donaueschinger eine West-Biografie hat.

Bis 5. Januar 2020, Deichtorhallen, Hamburg

Umfangreicher hingegen die Arbeiten von Sigmar Polke, ironischer, hintergründiger politisch: „Würstchen“ (1964) ist eine böse Spitze gegen die kleinen Freuden der Wohlstandgesellschaft, das Rasterbild „Freundinnen“ (1965/66) grenzt an die Op-Art, im Gummibandbild „Dürer-Hase“ weist Polke sogar über die Grenzen der Malerei hinaus, was in der Ausstellung ansonsten ein No-Go ist.

Tatsächlich ist „Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ fast ausschließlich eine unspektakulär gehängte Gemälde-Ausstellung. Weshalb Hausherr Luckow dazu kommt, die Deichtorhallen als überaus geeignet für Malerei zu loben, wird hier jedenfalls nicht deutlich: Eigentlich entfaltet sich der spektakuläre Reiz des Gebäudes vor allem in installativen Präsentationen, hier ist eben Bild an Bild gehängt. Und so überdecken ein nicht besonders innovatives Ausstellungskonzept sowie eine Präsentation, die sich nicht wirklich auf den Raum einlässt, die Tatsache, dass die Ausstellung als solche interessanter ist, als man zunächst denken würde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.