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Die Zeit anhalten

Geschichte schiebt sich in die Gegenwart, wenn Bettina Pousttchi den Außenraum gestaltet . Die Berlinische Galerie würdigt die in Berlin arbeitende Künstlerin mit einer Werkschau ihrer Skulpturen und Fototapeten

Ausstellungsansicht „Bettina Pousttchi. In Recent Years“ mit der Arbeit „Weltzeituhr“ Foto: Norbert Miguletz

Von Tom Mustroph

Zuweilen erschwert die Kunst den Zugang. Fürsorgliche Mitarbeiter der Berlinischen Galerie haben ein Schild mit der Aufschritt „Eingang“ vor den Eingangskubus des Ausstellungsgebäudes aufgestellt. Das Schild ist durchaus notwendig. Denn die komplette Eingangsfront ist mit einem eleganten Überzug von Linien und Strukturen versehen. Der eigentliche Eingang ist unter dieser Camouflage-Schicht nur schwer zu entdecken. Diese Arbeit, „Berlin Window“ genannt, und nicht – wie man denken könnte – von arabischer Sonnenschutzarchitektur inspiriert, sondern von der mittelalterlichen Fachwerkbauweise, erinnert an ein spektakuläres Frühwerk der Künstlerin Bettina Pousttchi.

2009 überzog sie die Temporäre Kunsthalle – ja, auch das gab es einmal in der Stadt – mit einer Fototapete, die die Außenfront des damals längst abgerissenen Palastes der Republik darstellte. Die Fotoschicht von „Echo“ war mit Schraffuren versehen, das Bild war damit als Dokument markiert, als Zeuge von etwas Vergangenem und nicht als das Vergangene selbst. Zeit, ja Geschichte, schob sich zwischen Bild und Dokument. Angesichts der tumben Stadtschloss-Attrappe, die sich jetzt immer deutlicher am einstigen Standort von Palast und Kunsthalle erhebt, drängt sich Pousttchis alte Arbeit als bessere Alternative geradezu auf.

Mit „Echo“ ist sie auch weiter unterwegs. Als Echo von „Echo“ ist derzeit die Kunsthalle Rostock mit Ansichten des Palasts der Republik aus Anlass eines Rückblicks auf das Gebäude und die mit ihm verbundenen Diskurse geschmückt.

Fototapeten, die die Zeit anhalten, sind auch in der aktuellen Ausstellung präsent. „Weltzeituhr“ ist eine Serie von Uhren, deren Zeiger um die Position von 13.55 Uhr oszillieren. Nicht immer sind die Zeiger exakt auf dieser Stellung, was an die Ungenauigkeit des Analogen denken lässt. Zeit ist in der Uhr mit Feder und Zeiger nicht Fluss, sondern Intervall. Die Gleichzeitigkeit suggeriert zugleich eine Nähe, die in der Wirklichkeit nicht existiert. Die Uhren stehen in unterschiedlichen Zeitzonen, in Berlin und New York, Los Angeles und Mumbai, Taschkent und Hongkong. War es bei der einen noch 13.55 Uhr, zeigte die andere bereits eine Zeit sechs Stunden früher oder drei Stunden später an.

Die Ziffernblätter – nur sie sind abgebildet – weisen bei aller Gleichheit des Produkts auf kulturelle Transformationen hin. Einige Uhren haben römische Zahlen, andere arabische. Manche sind von Design mathematisch nüchtern gehalten, andere ornamental verziert. Die Spannung zwischen spartanischem Industriestandard und der Dynamik der gebogenen Form ist auch für weitere Arbeiten in der Werkschau „Recent Years“ charakteristisch. Poust­tchis Ausgangsmaterialien sind hier so profane Objekte wie Leitplanken, Baumschutz- und Edelstahlbügel zum Anschließen von Fahrrädern.

Sie setzt diese Objekte des Verkehrswesens offenbar enormen Kräften aus. Die Leitplanken jedenfalls sind verbogen, gestaucht und geknickt. Anein­andergelehnt fügen sie sich mitunter zu menschlichen Gestalten. Baumschutz- und Fahrradbügel hat Pousttchi ersichtlich noch stärker bearbeitet. Abgerundete Formen entstehen. Die Bügel scheinen Menschengruppen darzustellen, die tanzen und springen, sich auf alle Fälle dynamisch bewegen.

Für Stadtmöbel­verbiegungen im Stadtraum fehlte leider die Courage

Diesen visuellen Anthropomorphismus schreibt Poust­tchi mit der Titelgebung der Arbeiten fort. Die metallenen Konstellationen tragen Namen wie Felix, Olga, Jakob oder Käthe. In der langen Raumflucht ganz zum Anfang der Ausstellungsfläche der Berlinischen Galerie fügen sich diese Objekte zu einer Tänzerschar, ganz so, als hätte sich ein Moment im Berghain in Chrom und Stahl materialisiert.

Natürlich hätte man sich auch gewünscht, die Berlinische Galerie hätte die Courage besessen, einzelne Stadtmöbelverbiegungsarbeiten in den Stadtraum zurückzubringen. Im niederländischen Tilburg, beim dortigen Lustwarande Sculpture Project, ist das aktuell der Fall. Man muss auch nicht immer gleich vom Schlimmsten ausgehen und befürchten, dass die Metallverbiegungskunst der deutsch-iranischen Künstlerin sofort PS-starke Nachahmer herausfordert. So bleibt die formidable Stadtkunst dann doch im Kunstgehege des Ausstellungsbaus.

Dort immerhin bildet „In Recent Years“einen interessanten Kontrast zur Bauhaus-Ausstellung gleich in den Nebenräumen. Geometrie und Spannung ist auch dort ein Leitmotiv.

Bettina Pousttchi, „Recent Years“, Berlinische Galerie, Mi.–Mo 10–18 Uhr, bis 6. 4. 2020

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