: Eine Frage der Perspektive
30 ReporterInnen, die in wechselnder Besetzung aus Sachsen, Brandenburg und Thüringen berichten – und was halten die LeserInnen davon?
Von Julia Boek
„Was macht ihr als Westberliner Zeitung in Dresden?“, wurden unsere RedakteurInnen in den ersten Tagen nach ihrem Einzug in die Sachsen-WG des Öfteren von ihren InterviewparterInnen gefragt. Einige DresdnerInnen reagierten überrascht auf unser Redaktionsbüro mit den über 30 ReporterInnen, die seit Mitte Juli in wechselnder Besetzung aus Sachsen, Brandenburg und Thüringen berichteten. Einigermaßen erstaunt waren wir allerdings auch: Wurde die taz tatsächlich noch als Westberliner Zeitung wahrgenommen?
Zwar waren wir extra aus Berlin angereist, um gemeinsam mit Korrespondent Michael Bartsch vor den Landtagswahlen unseren Blick auf den Politikbetrieb, zivilgesellschaftliche Akteure, Stadt und Land zu vertiefen. Und doch verhält es sich wohl so wie bei Reisen, bei denen man sich auf fremde Küchen und ungewohntes Klima einlässt: Läuft es gut, kommt man an einen Punkt, an dem man die eigenen Gewissheiten und das eigene Narrativ hinterfragt. Wie also steht es um unsere Perspektiven auf Ostdeutschland? Welche Themen setzen wir? Und was sagen unsere LeserInnen dazu?
Stefan Kleie, gebürtiger Dresdener, liest mehrere überregionale Tageszeitungen, darunter die taz am Wochenende. Gut gefallen, sagt er, habe ihm in den letzten Wochen die Vielseitigkeit der Berichterstattung über Ostdeutschland und insbesondere der „naive Ansatz für die große Sachsentour“. Ende August waren sieben RedakteurInnen der taz acht Tage durch das Bundesland gereist, wobei sich die Route zufällig ergab. „Dass die Redakteure dabei auf Menschen trafen, mit denen sie möglicherweise keine ideologischen Überschneidungen haben, fand ich erfrischend“, sagt Kleie. „Das ist eben keine linke Bescheidwisserei.“
Weitaus kritischer sieht Anita Weiß, Leserin und Leserbriefschreiberin aus Leipzig, die Berichterstattung der Sachsen-WG. Zwar seien die vielen Berichte und Reportagen über die Arbeit der Engagierten, die sonst kaum Widerhall in den Medien findet, bereichernd gewesen, so die Rentnerin. Jedoch habe sie bei der Lektüre so manches Mal „die politischen Hintergründe und recherchebasierten Analysen vermisst, die über die vor Ort beschriebenen Stimmungen und Verhältnisse hinausgingen“. Zum wirklichen Verstehen der Situation Ost habe die Berichterstattung wenig beigetragen.
Nach Schätzungen kommen von derzeit rund 160 MitarbeiterInnen in der Redaktion – inklusive taz Nord, exklusive Verlagsmitarbeiter – 30 aus dem Gebiet der DDR. Eine spontane Befragung unter einigen von ihnen ergibt, dass die taz auch von RedakteurInnen als Westberliner oder westdeutsche Zeitung wahrgenommen wird. Daniél Kretschmar, Redakteur für digitale Gesellschaftsthemen, sieht in der taz dagegen eher eine Kreuzberger Zeitung, „irgendwo zwischen den alten Postzustellbezirken 36 und 61 und dem Regierungsviertel changierend.“ Von Orten wie dem Saarland, dem ländlichen Bayern oder aus Rheinland-Pfalz lese er genauso wenig wie aus Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern. Die Relevanz seines ostdeutschen Backgrounds für die Berichterstattung und Debattenkultur der taz schätzt Daniel Schulz, Reporter und Leiter des Reportage- und Recherche-Ressorts, hoch ein. „Diversität hat in der taz eine Bedeutung“, sagt er. Auf die Frage, inwieweit er beim Setzen von Themen aus und über Ostdeutschland in der Konferenz durchdringe, schreibt Schulz: „Wesentlich leichter als (post)migrantische Perspektiven. Da wir ein paar Ostdeutsche in der Redaktion haben, eine stellvertretende Chefin, die aus Dresden kommt, und einen Chefredakteur, der in Leipzig studiert hat, funktioniert das im Zweifel.“
Manuela Heim, Redakteurin für Soziales im Berlin-Ressort, findet das „Ost-Labeling“ hingegen fragwürdig, für sie sind sogenannte Ostthemen dann relevant, wenn sie auch ohne das Label „Ost“ bedeutsam sind.
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