behindertenpolitik : Freundliche Ignoranz
Berlin ist behindertenfreundlich – genauso wie das frisch sanierte Olympiastadion. Behindertenfreundlich, das hört sich wunderbar an. Für alle Menschen mit Handicap aber ist es nichts als blanker Zynismus.
KOMMENTARVON GEREON ASMUTH
Denn wenn irgendwo „behindertenfreundlich“ drauf steht, weiß jeder Rollstuhlfahrer: Hier ist er allenfalls geduldet. Hier hat man versucht, die schlimmsten Planungsfehler zu beheben – ohne wirklich ans Ziel zu kommen. Hier können Menschen mit Handicap sich gerade noch bewegen – allerdings nur mit tatkräftiger Hilfe anderer. Allein ist man aufgeschmissen. Behindert durch schon eine einzige Treppenstufe, durch wenige Zentimeter zu enge Durchgänge, durch fehlende Toiletten. Durch die Ignoranz der Architekten.
Nun mag man sich fragen, ob bei einem Ort wie dem Olympiastadion prinzipiell die Belange der Behinderten berücksichtigt werde müssen. Schließlich würden Sportler mit Handicap dort wohl nur antreten, wenn jemals wieder Olympische Spiele und damit auch die Paralympics nach Berlin vergeben würden.
Die Frage muss aber anders lauten: Warum dürfen große Teile der Bevölkerung durch Architektur ausgegrenzt werden? Schließlich wäre es so einfach, Orte zu schaffen, die den Titel „behindertengerecht“ führen dürfen, Orte, an denen sich tatsächlich alle Menschen bewegen können – jederzeit, auch wenn sie dort nie zuvor jemand erwartet hat und nicht erst nach aufwändigen Umbauten. Solche Orte aber entstehen nur durch klare politische Vorgaben. Und die fehlen bis heute.
So müssen die Behinderten weiter ganz pragmatisch darauf hoffen, dass sie von einer möglichen Vergabe der Paralympics nach Berlin profitieren würden. Konsequenter jedoch wäre es, wenn die Bewerbung Berlins für Olympische Spiele von einer behindertengerechten Ausstattung der Stadt profitieren könnte.