Mit dem Zukunftsturbo in die neue Zeit

Bis Sonntag kann man sich noch um den SPD-Vorsitz bewerben. Am Donnerstag stellten sich noch einmal Christina Kampmann und Michael Roth vor. Eine Neuen-Quote soll her

Haben noch gut lachen: Christina Kampmann und Michael Roth, hier bei der ersten Vorstellung Ende Juli in Berlin Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Aus Berlin Martin Reeh

„#Zukunftsturbo“, „Ein Pakt für Chancen“, „Den digitalen Wandel gerecht gestalten“ und „Klima schützen – sozial und gerecht“ steht auf den Papieren, die Sprecher Christian Heydecker zu Beginn des Pressetermins verteilen lässt. Und dann gibt es noch ein fünftes Papier. Es ist das erste, das in seiner Überschrift einen Bezug zur SPD-Tradition erkennen lässt: „Mit uns zieht die neue Zeit“ lautet der Titel. Und: „Vorschläge für eine Reform der SPD“.

Am Donnerstag stellten sich Michael Roth und Christina Kampmann noch einmal den Medien in Berlin vor. Sie waren nicht nur die ersten Bewerber für den SPD-Parteivorsitz, die die notwendige Unterstützung der Parteigliederungen für ihre Kandidatur hatten, sondern sind auch die mittigsten. Die fünf Papiere kommen ohne eine Erwähnung der SPD-Reizworte „Agenda“ oder „Hartz IV“ aus. Stattdessen beschäftigen sich Kampmann, früher NRW-Familienministerin, und Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, ausführlich mit den Parteistrukturen: „Wir wollen neue und kreative Menschen verstärkt miteinbeziehen“, heißt es darin. Eine Neue-und-Kreativen-Quote soll her, jeder fünfte Listenplatz mit ihnen besetzt werden.

Zwei Plätze im Parteivorstand sollen an Basismitglieder verlost werden. „Wir meinen das ernst“, sagte Roth am Donnerstag. „Wir wollen nicht erst auf große Satzungsänderungen warten.“ Für die Parteilinke haben Kampmann und Roth eine Abkehr von der Schuldenbremse im Angebot. „Wir sind das mit Abstand jüngste Team“, warb Kampmann am Donnerstag. „Wir möchten den Aufbruch verkörpern.“

Am Sonntag läuft die Frist der Bewerbung um den SPD-Parteivorsitz aus. Während anfangs die Sorge überwog, kein bekannter und inhaltlich profilierter Sozialdemokrat würde sich in den Ring wagen, bietet sich jetzt ein Teilnehmerfeld, das die ganze Breite abbildet. Olaf Scholz (mit Klara Geywitz) und Boris Pistorius (mit Petra Köpping) für den rechten Flügel, der eine mit wirtschaftspolitischem, der andere mit innenpolitischem Schwerpunkt.

Die SPD-Linke ist in mindestens drei Bewerberpaare gespalten: Karl Lauterbach/Nina Scheer, Hilde Mattheis/Dierk Hirschel und Simone Lange, die zusammen mit dem Bautzener OB Alexander Ahrens antritt. Dazu zählen muss man auch Gesine Schwan, die zwar einst auf dem rechten Flügel zu Hause war, inzwischen aber lieber Rot-Rot-Grün sähe, und Ralf Stegner. Am Freitag entscheidet sich, ob der frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans hinzukommt, der zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken antreten will. Beide brauchen noch das Votum des NRW-Landesvorstands.

Linke Ökonomen bekommen bei dem Namen Walter-Borjans zwar glänzende Augen, weil er deutsche Steuerstraftäter in der Schweiz rigoros verfolgen ließ und für eine Vermögensteuer eintritt. Abseits seines Fachgebietes äußerte er sich aber bisher wenig. Das bietet ihm Chancen als Integrationskandidat, könnte aber auch noch Überraschungen bergen. Den Paaren Lange/Ahrens, Schwan/Stegner fehlt allerdings ebenso noch die offizielle Nominierung aus SPD-Verbänden wie den drei Einzelbewerbern.

Roth und Kampmann sind die mittigsten Kandidaten für den SPD-Vorsitz

Der inoffizielle Zwang zu Doppelkandidaturen setzte eine schwierige Hürde: Eine Reihe von prominenten Bewerbern, Olaf Scholz ebenso wie Simone Lange und Walter-Borjans, fand keine MitkandidatIn auf Augenhöhe, was den Bekanntheitsgrad angeht. Ralf Stegner, der sein Image als ewig missgelaunt nicht los wird, verbessert nicht unbedingt die Chancen von Gesine Schwan. Das Duo Pistorius/Köpping darf dagegen als geglückt gelten: Die sächsische Integrationsministerin ist nicht nur ebenso prominent, sondern deckt auch eine andere Seite ab als der niedersächsische Innenminister.

Auch bei Kampmann und Roth ist das ein Vorteil. „Du bist nicht an die Presse gegangen, und hast gesagt, ich suche mir jetzt eine Frau“, sagte Kampmann am Donnerstag beim Pressegespräch zu Roth. Eine Anspielung auf Olaf Scholz. Ob die Ausstrahlung als selbstverständliches Duo reicht, gegen den Finanzminister zu bestehen, werden die nächsten Wochen zeigen.

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