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Grünes Gas im Chemiepark

Gut Ding braucht bekanntlich Weile. So auch die Wasserstoffproduktion aus Windstrom in Brunsbüttel, die Anfang August startete. Der regionale Versorger betreibt ein 20 Kilometer langes Gasnetz und will neue Wege gehen

Neben Elektrolyseur und Tankstelle ist zusätzlich ein Puffertank mit einer Höhe von 18 Metern errichtet worden Foto: Rene Traut/imago

Von Dierk Jensen

Tim Brandt gehört zu den Wasserstoff-Pionieren im Norden. Vor vier Jahren gründete der Betriebswirt zusammen mit 15 Dithmarscher Windparkbetreibern – darunter einige Landwirte – die Wind to Gas Energy GmbH & Co. KG mit Sitz in Brunsbüttel. Nach zeitraubenden Vorarbeiten startete der Dauerbetrieb für die Wasserstoffproduktion auf dem Gelände des Industrieparks Brunsbüttel.

Damit pustet der Geschäftsführer einem bisher von der fossilen Chemie- und Energiewirtschaft geprägten Standort eine kräftige Brise Erneuerbares entgegen. So wird der von der Wind to Gas Energy installierte Elektrolyseur mit einer Kapazität von 2,4 Megawatt zukünftig rund 40 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde erzeugen.

„Wir legen jetzt endlich los“, freut sich Brandt über den Start ins Wasserstoffzeitalter. Dabei wird der kleinere Teil des aus Windstrom erzeugten Wasserstoffs direkt vor Ort für die neue Wasserstofftankstelle abgezweigt, während der weitaus größere Teil ins nahegelegene Gasnetz der Schleswig-Holstein Netz AG eingespeist wird. Zukünftiger bilanzieller Abnehmer dieses erneuerbaren Gases ist die Greenpeace Energy eG, die sich als Anbieter von Grünstrom und Grüngas gerade in diesem Segment bundesweit engagiert. Darüber hinaus sitzen auch die Stadtwerke Brunsbüttel als Kooperationspartner mit im Boot.

Unter dem Produktnamen „Schleusen-Windgas“ beabsichtigt der regionale Versorger, der mehr als 7.000 Kunden zählt und zugleich ein 20 Kilometer langes Gasnetz betreibt, neue Wege zu gehen. Zwar erwartet Geschäftsführer Andreas Wulff wegen der hohen Preiselastizität im Wärmemarkt nicht sofort einen Ansturm auf das neue Angebot, das rund 20 Prozent teurer sein wird als das bisher gelieferte Erdgas.

Dennoch blickt er optimistisch in die Zukunft. „Es ist ein wichtiger Anfang mit hohem Entwicklungspotenzial“, unterstreicht der 38-jährige Betriebswirt, der sich auch als Vorstandsmitglied im schleswig-holsteinischen Stadtwerkeverband aktiv für eine wachsende Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Quellen einsetzt.

Unterdessen freut sich Michael Friedrich, Sprecher der Greenpeace Energy eG, auf eine enge Zusammenarbeit: „Wir unterstützen die Stadtwerke Brunsbüttel durch die Lieferung von Wasserstoff gerne, weil die Windgas-Technologie von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Energiewende ist.“

So bietet die Greenpeace Energy ihr Windgas-Produkt mit einem Gehalt von zwei Prozent Wasserstoff seit 2011 an. Dabei betreibt das in Hamburg ansässige Unternehmen bereits einen eigenen Elektrolyseur im fränkischen Haßfurt, gemeinsam mit dessen Stadtwerken, und baut gerade einen zweiten in Haurup bei Flensburg auf. Darüber hinaus bezieht die Energiegenossenschaft aus Prenzlau in der Uckermark und aus Mainz weiteren Wasserstoff und erweitert ihr Portfolio mit dem Erwerb der Wasserproduktion in Brunsbüttel nun um eine zusätzliche Quelle.

Den Sektor Strom sowohl mit der Mobilität als auch der Wärme koppeln

Tim Brandt erläutert auf dem Gelände des Brunsbütteler Industrieparks die geplante Vorgehensweise bei der Erzeugung: „Immer wenn sich die Strompreise gegen null Cent bewegen oder aber das Stromnetz voll ist und unsere Windenergieanlagen abgeschaltet werden würden, dann leiten wir den Windstrom in den Elektrolyseur“, erklärt der 28-jährige Geschäftsführer das Betriebskonzept, das den Sektor Strom sowohl mit der Mobilität als auch der Wärme koppelt. Dafür haben die Dithmarscher einen Betrag in „mittlerer einstelliger Millionenhöhe“ investiert.

Neben Elektrolyseur und Tankstelle ist zusätzlich ein Puffertank mit einer Höhe von 18 Metern errichtet worden. Damit können Brandt & Co. zukünftig 350 Kilogramm Wasserstoff lagern, um auch bei plötzlich hoher Tankfrequenz den Bedarf decken zu können. Allerdings ist beim installierten Elektrolyseur noch viel Luft nach oben. Denn in der Anlaufphase kalkulieren die Betreiber mit jährlich 1.000 Betriebsstunden, was nur wenige Prozent vom Stromertrag des zuliefernden Windparks erfordert.

Nur zum Vergleich: Für ein Kilogramm Wasserstoff braucht es in der Herstellung rund 55 Kilowattstunden Strom. Ganz abgesehen davon sind so viele Wasserstoffautos nördlich der Elbe noch nicht unterwegs, auch wenn Brandt selbst ein Brennstoffzellen-Fahrzeug fährt und als Vertriebspartner des südkoreanischen Herstellers Hyundai mittlerweile schon fast zwei Dutzend Wasserstoff-Autos der Marke Nexo in der Region verkauft hat.

Trotz der Anfangserfolge kritisiert der junge Unternehmer Brandt aber die energiepolitischen Rahmenbedingungen, die eine wirtschaftliche Produktion von Wasserstoff noch immer verhindern. Dass er für denjenigen Windstrom, aus dem vor Ort Wasserstoff erzeugt wird und der damit nicht ins Netz gelangt, die EEG-Umlage zu bezahlen hat, ist für ihn ein absoluter energiepolitischer Widerspruch. Vielmehr müsse der Gesetzgeber in Zeiten der Energiewende die Sektorenkoppelung belohnen, anstatt sie zu bestrafen.

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