berliner szenen: Sind Sie Lehrerin von der Gustav?
Da Telefonieren beim Fahrradschieben nur halb so schön ist, setze ich mich auf die Treppenstufen einer Schöneberger Schule. Meine Schwester ist am Apparat, einmal pro Woche tauschen wir uns aus, meist über das Wochenende. Als sie mir gerade von ihrem erzählt, bleiben zwei Jungs vor mir stehen. Sie schauen mich an, während ich telefoniere, dabei eine Selbstgedrehte rauche und für den guten Geschmack einen Eistee in einem 2-Liter-Tetrapak neben mir auf die Stufen gestellt habe.
Plötzlich fragt mich der Jüngere der beiden, etwa zwölf Jahre alt: „Sind Sie Lehrerin von der Gustav?“ Perplex frage ich: „Wie bitte?“ Nun wiederholen sowohl der Junge als auch meine Schwester den letzten Satz. Ich frage grinsend, während ich zum Jungen blicke: „Seh ich etwa so aus?“ Meine Schwester meint nur: „Wie bitte?“ Der Junge sagt: „Ich wollt ja nur mal fragen“, und läuft mit seinem Kumpel weiter. Ich erzähle meiner Schwester von dem Vorfall: Dass ich für eine Lehrerin gehalten wurde, ist mir noch nie passiert. Und das auch noch mit abgeschnittener Jeans, Jutebeutel, Kippe, Tetrapak. „Ist das dann nicht ein Lob?“, fragt meine Schwester. „Ein Lob? Nein, ein Lob ist das nicht“, erwidere ich, während ich die Zigarette ausdrücke. Lieber telefonieren und dabei das Fahrrad schieben, als weiterhin wie eine Lehrerin zu wirken, die an ihrem Feierabend nichts Besseres zu tun hat, genau wie Schüler mit Kippe und Eistee vor dem Schulgebäude herumzulungern.
Kurze Zeit später sehe ich die beiden Jungs wieder. Der gleiche von vorher fragt: „Ist da ein Motor drin?“ Ich blicke auf mein Fahrrad, das aus den fünfziger Jahren stammt, und sage: „Sieht das etwa so aus?“ Der Junge schaut mich fragend an, meine Schwester fragt, wie ich das denn meinen würde, und ich, ich schaue nach einer versteckten Kamera. Eva Müller-Foell
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