Micha Brumlik Gott und die Welt: Vermeintliche Unterstützer
Dem Wahlausgang zum Trotz, im Bereich der politischen Kultur sind Fortschritte zu verzeichnen: dem israelbezogenen McCarthyismus sind Grenzen gesetzt worden. Durch ein Gericht in Stuttgart. Im Einzelnen: Der Publizist Reiner Bernstein – er setzt sich seit Jahrzehnten für eine beiden Seiten gerecht werdende Lösung des Israel-Palästina-Konflikts ein – klagte gegen diffamierende Äußerungen zweier Mitglieder der Stuttgarter Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Deren Vorsitzende, Bärbel Illi, hatte nach einem Vortrag Bernsteins behauptet, dass er die BDS-Kampagne verteidigt und eine durchgehende jüdische Präsenz in Palästina negiert habe. Bernstein klagte gegen diese Behauptungen und so verurteilte das Landgericht Stuttgart am 22. August die dortige DIG dazu, eine Wiederholung dieser Behauptungen zu unterlassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurden bis zu 250.000 Euro ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht. Demnach ist es unzulässig, „wörtlich oder sinngemäß über den Kläger zu behaupten, zu verbreiten oder verbreiten zu lassen“, er habe die BDS-Kampagne gegen Kritik verteidigt.
Bernstein sieht einem weiteren Prozess entgegen, klagt er doch gegen einen Verlag, in dem ein Buch von Arye Sharuz Shalicar erschienen ist, in dem er ebenfalls der Unterstützung der BDS-Kampagne geziehen wird. Shalicar, 1977 in Göttingen geborener Sohn iranischer Juden, war in Berlin Mitglied von Streetgangs, bevor er sich 1997 eines anderen besann und 2001 nach Israel auswanderte, wo er als einer von vier Pressesprechern der israelischen Armee fungiert. Vom Verlag Hentrich & Hentrich, in dem das Buch von Shalicar erschien, ist zu hören, dass es letzten Endes die dem Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2019 zugrunde liegende Stimmung gewesen sei, die Äußerungen wie jene Shalicars oder der DIG Stuttgart ermutigt habe. Nun ist zwar Shalicars Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ schon 2018 erschienen, indes: Es war der schon länger grassierende israelbezogene McCarthyismus, der entsprechende Äußerungen ermutigt hatte und im genannten Bundestagsbeschluss seinen Höhepunkt gefunden hat. Dort heißt es unter anderem:
„Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch. Die Aufrufe der Kampagne zum Boykott israelischer Künstlerinnen und Künstler sowie Aufkleber auf israelischen Handelsgütern, die vom Kauf abhalten sollen, erinnern zudem an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte“. Dem stimmten in namentlicher Abstimmung 495 Abgeordnete zu, während 62 mit Nein stimmten und sich 431 enthielten. Mit dem Beschluss des Stuttgarter Landgerichts und der zu erwartenden Berliner Verhandlung scheint der mit der Anti-BDS-Kampagne ausgelösten Politik des Rufmords fürs Erste eine Grenze gesetzt worden zu sein. Ein Sieg für eine liberale politische Kultur, der es in Zeiten eines vermeintlich israelfreundlichen Rechtspopulismus gelungen ist, differenziertes Argumentieren zu schützen.
Micha Brumlik ist Mitarbeiter am Zentrum für Jüdische Studien.
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