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Dunkle Wolken über Braunschweig

In Braunschweig wurde um 1970 Hans Arps Wandbild „Wolkenzug auf nachtschwarzem Himmel“ tiefgreifend verändert. Im Zuge einer kommenden Sanierung bleibt die Verstellung erhalten. Was dabei verloren geht, erfährt man derweil woanders – im Schweizer Appenzell

Von Bettina Maria Brosowsky

Er wird gern als „Weltenkünstler“ bezeichnet: Hans, oder auch Jean Arp (1886–1966), Maler, Grafiker, Bildhauer, Lyriker. Als er in Straßburg geboren wurde, gehörte die Hauptstadt Elsass-Lothringens zum Deutschen Reich. Der Vater vermögender Zigarrenfabrikant und aus Norddeutschland zugezogen, die Mutter Französin, träumte Arp von einem Kunststudium in Paris, musste aber 1904 auf Geheiß seines Vaters an die Kunstschule Weimar gehen.

Kurz vor seinem Abschied schenkte er einem Freund ein kleines Landschaftsgemälde, nicht einmal so groß wie ein Blatt DIN A4-Papier. Das Naturstück dominiert eine mächtige weiße Wolke, wenngleich sie etwas eingezwängt und in ihrer Kontur angeschnitten ist. Zweifelsohne ein Hinweis auf Arps Seelenlage, aber doch nicht ohne Optimismus, denn eine Wolke ist „frei“ und in ständiger Transformation begriffen.

Wenn man will, könnte man in diesem kleinen Wolkenbild (einem sehr frühen und dem vielleicht kleinsten Werk Arps überhaupt) schon sein Lebensthema ausmachen, das ihn auch aus existenziellen Krisen zu retten vermochte: das Weiß, die helle Wolke, die das Böse, Bedrückende zu bannen vermag.

Das größte Wolkenbild Arps (und eines seiner letzten Werke) befindet in Braunschweig, 1960 an einer geschlossenen Außenwand des neu errichteten Audimax der Technischen Universität montiert. Ursprünglich vom Künstler als eine weitere Ausformulierung seiner „Konstellation“ biomorpher Formen bezeichnet, hatte sich schnell der Name „Wolkenzug über nachtschwarzem Himmel“ eingebürgert.

Denn diese Kunst im öffentlichen Raum zeigte ein „Nachtstück“: Einem hellen Wolkenzug aus (wohl weiß bemaltem) Metall diente der anthrazitfarben gestrichene Beton der geschlossenen Südwestfront des Hörsaals als Bildhintergrund. Eine feine helle Linie der Attika bildete den knappen oberen Abschluss, die vorgestellte Kolonnade in hellgrauem Beton den breit gelagerten Sockel. So war es gedacht und so wurde es übergeben. Kongeniale Fotos von Heinrich Heidersberger dokumentieren den bauzeitlichen Zustand: Kunstwerk, Architektur und natürlicher Himmel verschmolzen zu einem Guss.

Leider wurde das Werk bereits um 1970, im Zuge weiterer Baumaßnahmen am Uni-Campus, tiefgreifend verändert, das Bild verkehrte sich ins Groteske: Nun sind die Wolken dunkel, der Bildhintergrund ebenso betongrau wie vormals nur der Kolonnadensockel.

Eine aktuelle denkmalgerechte Sanierung des Audimax durch die TU Braunschweig fühlt sich in keiner Weise dem originalen Zustand des Kunstwerks verpflichtet, auch das bei solchen Maßnahmen einzubeziehende niedersächsische Landesamt für Bau- und Kunstdenkmalpflege teilte auf Anfrage mit: „Urzustände sind nicht immer Ziel denkmalpflegerischen Handels. Der Urzustand ist dokumentiert und somit der Nachwelt erhalten.“

Was aber hat es mit dem Werkaspekt architekturbezogener, ortsspezifischer Arbeiten im Œuvre Arps auf sich, was mit den Themen „Wolken“ und „Weiß auf Schwarz“? Darüber kann, wer reisen mag, sich derzeit im schweizerischen Appenzell die notwendigen Erkenntnisse holen. In den zehn Kabinetten des dortigen Kunstmuseums bilden insgesamt 100 Exponate einen assoziativ chronologischen Rundgang zu neun Hauptwerken Arps, die er im Kontext internationaler Sakral- und Bildungsbauten realisierte, immer in Abstimmung mit den jeweiligen Architekten.

Ein Raum ist der Braunschweiger Arbeit gewidmet. Bis auf eine frühe Wandmalerei sind die ortsfesten plastischen Werke Arps spätem Schaffen zuzurechnen, reflektieren, variieren oder präzisieren immer wieder Themen seines ganzheitlichen Denkens, stets in humanistisch geistiger Durchdringung mit feiner, humorvoller Note.

Leben und Wirken Hans Arps sind exemplarisch für ein europäisches Schicksal, erfuhren tragische Einschläge während des NS-Terrors. Der überzeugte Pazifist Arp gehörte zum Künstlerkreis, der 1916 in Zürich den Dadaismus begründete. Dem Grauen des ersten Weltkrieges wurde mit aufbegehrenden Kunstformen oder absurden Aktionen begegnet.

Arp war mit dem geistesverwandten Hannoveraner Kurt Schwitters befreundet, in der aktuellen Ausstellung „100 Jahre Merz“ im Sprengel-Museum sind unter anderem seine „7 Arpaden“, frohsinnig organische Grafiken, aus einer Schwitters-Edition von 1923 zu sehen.

Ab 1926 lebte Arp, nun französischer Staatsbürger, mit seiner ersten Frau, der schweizerischen Künstlerkollegin Sophie Taeuber, in Frankreich, beide flohen 1940 in den nicht okkupierten Süden, 1942 nach Zürich. Seelisch und körperlich entkräftet erlag Taeuber dort 1943 einer Gasvergif-tung.

Arps künstlerischer Elan war danach gelähmt, der Bereich der Plastik lag zeitweilig brach. Ab 1944 beschäftigten ihn abstrakte, flächig schwarze Tuschezeichnungen, Trauer und Angst brachen sich Bahn. Ab etwa 1946, nun zeitweilig zurück in Frankreich, trat die Farbe Weiß hinzu, die geistig seelische Ebene in Arps konkreter Kunst. Die Wiederaufnahme seiner plastischen „Concrétion humaine“, die anthropomorphe Form, und der „Wolke“ zeugen ab den 1950er-Jahren von neuem Schaffenswillen, nun auch für prominente, öffentliche Orte. Es entstanden etwa für die Uni in Caracas die große Bronze „Wolkenhirt“ und ein Wandrelief für den Unesco-Hauptsitz in Paris.

Für einen Speiseraum der Harvard-Universität, von Bauhausgründer Walter Gropius entworfen, hatte Arp bereits ab 1950 eine zweiteilige Wandarbeit aus amerikanischem Redwood erschaffen: „kosmische Formen“, so Arp, mit einem „verhüllten Sinn“ – eine irrationale Kunstsphäre im rationalen Hochschulbetrieb. Später entfernt und geborgen, erstrahlten die perfekt restaurierten Reliefelemente bis Ende Juli in der Harvard Research Gallery, waren zum Bauhausjubiläum eine Referenz an Gropius, Arp und die beide schon seit dem frühen 20. Jahrhundert bewegende Synthese aller Künste.

Anders also als Arps 30 Meter lange Wolkenkonstellation in Braunschweig, die auch nach der Gebäudesanierung im nächsten Jahr unverändert ihren entstellten Zustand zeigen wird. Natürlich lassen sich auch dann immer noch Individuen aus Arps Werks- und Wolkenkosmos identifizieren: ganz rechts etwa eine zweidimensionale Überführung des Wolkenhirten, links daneben eine sich dynamisch windende Tänzerin. Die größte Figur, rechts der Mittelachse, fußt auf Arps „Évocation d’une forme humaine, lunaire, spectrale“: ein ambivalentes Wesen, das sich je nach Betrachtungsrichtung öffnet oder verschließt, ein Verweis auf die Innenwelt des Menschen und sein Reagieren auf falsche oder richtige Berührung.

Aber es war Arps tief empfundene Dialektik: Weiß, welches Schwarz zu zivilisieren vermag, das die so weise wie geistig versöhnliche Essenz dieses Werkes im Nachkriegsdeutschland ausmachte. „Gut und Böse verbinden sich zum Wesentlichen“, so Hans Arp einmal.

„100 Jahre Merz. Kurt Schwitters. Crossmedia“: bis 6. 10, Hannover, Sprengel-Museum; „Public Arp. Hans Arp – Architekturbezogene Arbeiten“: bis 3. 11., Kunstmuseum Appenzell, Schweiz

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