piwik no script img

Arbeit an der Verweigerung

Gut wird es dann, wenn Selbstironie durchschimmert: Mit dem kurzen Text „Herzstück“ von Heiner Müller hat das Maxim Gorki Theater die Spielzeit und eine neue Bühne eröffnet

Von René Hamann

Praktisch, so ein Vierzehnzeiler. Man kann ihn komplett zitieren und gewinnt damit schon einiges an Platz. Man kann ihn auch in die Mitte einer neuen Aufführung stellen, sagen wir, als Saisonauftakt am Maxim Gorki Theater, anlässlich der Einweihung einer neuen, dritten, provisorischen Spielstätte, die von der Intendantin Shermin Langhoff und Kultursenator Klaus Lederer am Samstagabend mit ordentlich Sekt und vielen Reden begangen wurde. Und dann kann man fleißig Eigen- oder Fremdtext drum herum stellen, schön was konzipieren, viel Improvisation zulassen. Und hat am Ende ein Superkurzstück aufgeführt, eine echte Rarität. Etwas, das vermutlich noch niemand vorher gemacht hat.

Die Rede ist von Heiner Müllers „Herzstück“ von 1983, das aus dem vierzehnzeiligen, absurden, typisch rabiaten Dialog zweier Clowns besteht. Sebastian Nübling hat sich für seine Inszenierung jedoch für sieben Clowns entschieden. Die neue Spielstätte ist der „Container“, der seitlich vor dem Haupteingang des Gorki steht und in der eh im Umbau begriffenen Umgebung des Theaters nicht einmal durch seine Aufschrift „De-Heimatize It“ groß auffällt. Er beherbergt eine, na ja, Halle mit erstaunlich großer, langer Bühne und einem aufsteigenden Auditorium, ein wenig wie die Seitenhalle der Berliner Festspiele.

Das Provisorische jedoch bleibt zunächst. Der Anfang des „Herzstücks“ spielt sehr damit. Alles wirkt etwas unfertig und hinimprovisiert; die Clowns machen Schabernack, der meist nicht so wirklich lustig ist, die Bühne ist leer, die Clowns bilden Wiederholungsmuster, an denen man sie auseinanderhalten kann. Natürlich gibt es auch den traurigen Clown (Maryam Abu Khaled), der hier versucht, mit einem schön verhallten Smile-Aufruf etwas von Fremdbestimmung zu erzählen. Überhaupt ist das Stück so angelegt, dass es etwas über Arbeit und Zwang erzählen soll, dabei bleibt der angestrebte Diskurs trotz der paar Marx-Zitate eher übergestülpt. Bei aller gespielten Arbeitsverweigerung: Von der spätkapitalistischen Arbeitsgesellschaft oder der Ausbeutung der Schauspielenden im System Theater wird nicht wirklich erzählt. Das bleibt Staffage. Schon, weil man Arbeitsverweigerung in einem Arbeitskontext nicht wirklich spielen kann. Es bleibt nämlich Arbeit, am Ende.

Überhaupt erinnert das Tun der sieben Clowns lange an Stücke von Herbert Fritsch, insbesondere an „Pfusch“, seinem Abschied von der Volksbühne. Nur, dass Nübling dessen Kunstversessenheit in Sachen Slapstick und Anarchie nicht in gleicher Qualität reproduzieren kann und seinem kleinen Ensemble zum Thema Arbeit mit den Mitteln der Improvisation nicht so wirklich viel einfällt. Gut wird es dann, wenn Selbstironie durchschimmert – Vidina Popov gibt eine marktschreierische Ansagerin, Dominic Hartmann gibt zu, dass er die anderen nur nachahmt, und zwischendurch erklingt der sehr gute Soundtrack „Baker Street“ von Gerry Rafferty, der später sogar eine brachiale Heavy-Version verpasst bekommt.

Selbstironie scheint ein Ausweg aus der Hölle der Referenzen und auch aus der Hölle der Zuschreibungen. Im weiteren Verlauf des Stücks, in dem der Müller-Text zweimal zitiert wird, einmal von Popov, einmal von zwei herumirrenden Staubsaugerrobotern, weitet Nübling diese Selbstironie auch auf das Gorki selbst aus; auf das diverse, politisch korrekte, queere Theater, das es seit der Intendanz von Shermin Langhoff ist, und das ja auch durchaus erfolgreich.

Dominic Hartmann gibt zu, dass erdie anderen nur nachahmt

Aber bevor das Ganze weiter Gefahr läuft, zur eigenen Karikatur zu werden, sollten Spiellust und Ironie walten. Das hat Nübling erkannt. Erstaunlicherweise findet „Herzstück“ zum Ende hin nämlich zu einer Kompaktheit, die endlich die ganze Bandbreite eines funktionierenden Theaters nutzt. Die ganze Technik, das ganze Licht. Die volle Kapelle.

Und schließlich irrt die Geisterstimme Heiner Müllers durch den Raum, während die Saugroboter die Arbeit machen. „Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen“ (…) „Ich werde es Ihnen herausoperieren. Wozu habe ich ein Taschenmesser. Das werden wir gleich haben. Arbeiten und nicht verzweifeln. So, da hätten wir’s. Aber das ist ja ein Ziegelstein. Ihr Herz ist ein Ziegelstein.“ – „Aber es schlägt nur für Sie.“

Konstruktion, Dekonstruktion, Rekonstruktion. Müller schafft das in vierzehn Zeilen. Es passt, dass das Gorki sich anscheinend wieder der (post-)modernen Klassiker annehmen möchte – als Nächstes steht Kleist auf dem Programm, wieder von Nübling: „Die Verlobung in St. Domingo“. Es ist anzunehmen, dass auch das eher die Arbeit der Dekonstruktion meint. Wir sind gespannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen