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Beyoncé im Anne-Frank-Haus

Anne Frank als beliebig konsumierbare Gedenkikone und die ausgeblendete Libido älterer Frauen: Die Nominierten des Preises der Nationalgalerie präsentieren im Hamburger Bahnhof ihren Blick auf unsere Zeit

Massenphänomene des Spätkapitalismus: Simon Fujiwaras Installation Foto: Mathias Völzke

Von Beate Scheder

Wie wir die Dinge anschauen und warum. Zum Beispiel die Wachsfigur der Anne Frank bei Madame Tussauds. Simon Fujiwara hat eine solche nachbilden lassen und mit einigem Abstand zu den Besucher*innen in den Hamburger Bahnhof gestellt. Eine an einem Roboterarm befestigte Kamera übernimmt die Rolle des Publikums, imitiert dessen Blicke. Die Linse umkreist die Figur, projiziert Detail um Detail, Buchseiten, Fingernägel und das ins Wachs gravierte Lächeln auf Bildschirme, macht das Abbild des Mädchens noch mehr zu dem, was es längst ist, leicht konsumierbare Gedenkware. Fujiwara untersucht in seiner Kunst Massenphänomene des Spätkapitalismus, hat aus diesem Grund auch eine Kopie des Topshop-Hosenanzugs schneidern lassen, den Beyoncé beim Besuch des Anne-Frank-Hauses trug: Binnen 45 Minuten war dieser international ausverkauft, nachdem sie ihn auf Instagram gepostet hatte.

Ein Massenphänomen ist auch die Ausstellung, in der Fujiwaras Arbeiten zu sehen sind: die Gruppenpräsentation der Nominierten des diesjährigen Preises der Nationalgalerie. Am Donnerstagabend, bei der Eröffnung, waren die Einlassschlangen so lang, dass viele unverrichteter Dinge umkehrten. Dabei will die Schau doch eigentlich in diesem Jahr weniger Show sein.

Im November 2017 nämlich, als Agnieszka Polska bereits zur Gewinnerin erklärt worden war, hatten die vier Künstlerinnen der damaligen Shortlist eine Erklärung veröffentlicht, in der sie auf problematische Aspekte des Preises hinwiesen. Zu wenig sei es im ganzen Procedere um ihre Kunst gegangen, vielmehr wieder und wieder um ihr Geschlecht und ihre nichtdeutsche Herkunft und die Verleihung des Preises habe eher einer Feier der Ausrichter und des Hauptsponsors BMW geglichen.

Sehr ernst genommen hätten sie diese Kritik wie auch die damit verbundene ethisch-moralische Verantwortung von Institutionen, betonte Udo Kittelmann, der Direktor der Nationalgalerie, zur Eröffnung nun mehrfach. Der gute Wille immerhin scheint da zu sein. Inwieweit das auch die Preisverleihung betrifft, muss sich erst noch zeigen. Richten soll es bis dahin unter anderem ein Booklet zur Ausstellung, in dem zu jeder gezeigten Arbeit ein kleiner Text zu lesen ist.

Was dann doch ein wenig merkwürdig anmutet: Sollte Vermittlung gerade im Bereich zeitgenössischer Kunst nicht selbstverständlich sein?

Helfen kann das Heftchen natürlich durchaus, etwa dabei, die Objekte, Wandbilder, Skulpturen und Projektionen der Post-Internet-Pionierin Katja Novitskova zu entschlüsseln. Irre viele stehen und hängen davon in den beiden Räumen der Künstlerin herum, was als Galerieausstellung bestimmt Eindruck machen könnte, aber hier?

Nicht ganz überzeugend auch der Beitrag von Flaka Haliti: aufwändig produzierte und ästhetisch durchaus stimmige skulpturale Installationen, die einen so kalt lassen wie das Eisblau der Roboter, die dort untätig herumliegen. Laut Booklet sind diese Maschinenwesen aus Materialien aus inzwischen aufgegebenen KFOR-Feldlagern gebaut, zur Passivität verdammte Manifestationen eines künstlichen Friedens also. Nur schade, dass sich das nur transportiert, wenn man den Text dazu liest.

Ältere Frauen schmachten hübsche Metzger und Paketboten an

Haliti hat es aber auch nicht leicht mit Pauline Curnier Jardin als Nachbarin. Von dieser stammt der eindringlichste, eigenwilligste Part der Ausstellung, in dem sie sich wie die anderen einem sehr spezifischen Thema unserer Zeit widmet, jedoch einem bislang auch in der Kunst erstaunlich vernachlässigten, der sexuellen Energie älterer Frauen nämlich.

Zunächst führt sie einen durch einen gebärmutterroten Dschungel, in dem schlappe Vinylkörper herumliegen, wie Gummipuppen, ausgesonderte Erotikobjekte. „Damenhäute im Wald der Hitzewallungen“, so der Titel der Arbeit in deutscher Übersetzung, könnte als Prolog zu Curnier Jardins neuestem Film „Qu’un Sang Impur“ verstanden werden.

Protagonistinnen sind dort eine Gruppe Frauen jenseits der Menopause. Curnier Jardin zeigt sie, wie sie hübsche Metzger und Paketboten anschmachten und dabei vor lauter Verzückung wieder heftig zu bluten beginnen – ohne bei den Objekten ihrer Begierde jedoch Beachtung zu finden. Irgendwann sind die jungen Typen tot und die alten Damen finden sich im Gefängnis wieder, wo sie sich – mit Anklängen an Jean Genets „Un Chant d’Amour“ – voller Genuss der Masturbation hingeben.

Intensiv und vieldeutig ist auch die Bildsprache, in der all das geschieht, was Curnier Jardin gegenüber ihrer Konkurrenz und deren smarter, aufgeräumter Ästhetik wohltuend absetzt. Sie wühlt auf, klingt nach, vielleicht ja auch bei der Jury.

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