: Ganz allein an der Front
Merkel muss nicht nur allein für ihren Sieg kämpfen, sondern auch noch brutale Querschläger aus den eigenen Reihen parieren
AUS ESSEN UND KÖLN LUKAS WALLRAFF
Es gibt Menschen, die Angela Merkel nahe stehen. Sehr nahe. Die alles dafür tun würden, dass sie die Wahl gewinnt. Aus Überzeugung, weil sie wirklich glauben, dass Angela Merkel das Land in Schwung bringt – und aus Eigennutz: Weil sie selbst auf einen guten Job in einer Regierung Merkel hoffen. Für diese Menschen war diese Woche eine Qual. Tatenlos mussten sie zusehen, wie die Umfragewerte sanken und ganz Deutschland nur noch über Edmund Stoibers Ossi-Beschimpfung sprach. „Wenn ich wüsste, wie ich ihr helfen könnte“, sagt einer von Merkels treuesten Anhängern in der CDU-Führungsriege, „hätte ich ihr schon eine SMS geschickt. Aber ich weiß es nicht.“
Angie, Angie
When will those clouds all disappear?
Vielleicht hilft ja ein Lied, mag sich der Wahlkampforganisator der Kölner CDU gedacht haben. Bei Merkels Auftritt auf dem Domplatz legt er „Angie“ auf. Gleich nach der Nationalhymne erklingt das schönste Liebeslied der Rolling Stones. Es soll eine Hymne auf die Kandidatin sein, die der Moderator überschwänglich begrüßt hatte: „Hier kommt Deutschlands Hoffnung!“ Das passt zu den „Angie“-Plakaten. „Angie“, das Lied, passt zur inszenierten Aufbruchstimmung nur, wenn man auf den traurigen Text nicht hört. Merkel selbst tut es nicht – sie sitzt schon im Auto, hat nach ihrer Rede nur noch kurz gewinkt und ist schnell abgefahren.
All the dreams we held so close
Seemed to all go up in smoke
Woran liegt es, dass die Siegesgewissheit, die Merkel und ihre Gefolgsleute nach der Neuwahlankündigung und ihrer Nominierung überall ausstrahlten, Zweifeln, Unsicherheit, ja Angst gewichen sind? Nur an den brutalen Querschüssen aus den eigenen Reihen?
Nein, sagt einer ihrer Berater, es sei zu einfach, alles auf Stoibers rücksichtslose Zielvorgabe (45 Prozent!) und seinen egozentrischen verbalen Amoklauf zu schieben oder auf die anderen Ministerpräsidenten der Union, die lieber Urlaub machten, als Merkel in den ersten Wahlkampfwochen schon zu unterstützen. Nein, da sind Merkels Leute ganz bescheiden. Außer Stoiber habe sich ja „niemand besonders kontraproduktiv verhalten“. Die CDU-Chefin habe von Anfang an gewusst, dass sie auf Hilfe ihrer prominentesten Parteifreunde nur bedingt zählen könne. „Und damit, dass sie jetzt allein an der Front steht, hat sie ja eigentlich auch kein Problem.“
Angie, don’t weep
All your kisses still taste sweet
Die Fehler der anderen ausmerzen, das kann Merkel in der Tat, so gut es geht. Am Donnerstagabend, im ZDF bei Maybrit Illner, schafft sie das Kunststück, sich so weit wie irgend möglich von Stoibers Ausfällen gegen die Ostdeutschen zu distanzieren, ohne den CSU-Chef direkt anzugreifen, was zu neuem Streit und unkalkulierbaren Reaktionen des Bayern geführt hätte.
Sie belässt es bei einer klaren, aber unaufgeregten und höflichen, weil allgemein gehaltenen Abgrenzung. Alles, was dazu beitrage, das Land zu spalten, sei falsch, sagt Merkel und beteuert, sie wolle „Kanzlerin aller Deutschen“ werden. Geschickt münzt sie es zu ihrem Vorteil um, dass sie, die Ostdeutsche, laut einer von Illner präsentierten Umfrage nicht als Interessenvertreterin der Ostdeutschen wahrgenommen werde. „Vielleicht brauchten wir mehr Leute wie mich“, reagiert Merkel schlagfertig, „die wirklich gesamtdeutsch sind.“
Angie, Angie
Where will it lead us from here?
With no loving in our souls
And no money in our coats
You cant say we’re satisfied
Merkels größtes Problem sind nicht die Fehler, die der Union im Wahlkampf passieren. Auch nicht die eigenen Ungeschicklichkeiten. Die scheinen nur medial Aufregung auszulösen. „Ach Gott, Brutto mit Netto zu verwechseln, so was kommt halt vor, das macht sie doch nur menschlich“, sagt eine Rentnerin, die zu Merkels erstem großem öffentlichem Auftritt in Essen gekommen ist. Auch die Weigerung der Kandidatin, zweimal gegen Kanzler Gerhard Schröder im Fernsehen anzutreten, stört hier niemand. „Einmal reicht“, sagt ein Passant. „Dass sich Schröder besser verkaufen kann, wissen wir doch eh.“
Wo liegen Merkels Probleme dann? Ist es ihr Programm? Höchstens zum Teil. Es kommt bei vielen gut an, dass sie „keine Versprechungen“ machen will. Dass sie offensiv über die Mehrwertsteuer und die Abschaffung der steuerfreien Nachtzuschläge spricht, klingt zwar unschön, aber wenigstens ehrlicher als bei anderen und nach „Die packt’s an“. Merkels Problem ist, dass sie außer ihren ökonomischen Konzepten nichts hat.
In ihren Reden verliert sie aus gutem Grund (Irak) kein Wort zur Außenpolitik. Sie vertritt aber auch keine einzige gesellschaftspolitische Position. So vermissen Liberale moderne Stellungnahmen (etwa für die Homoehe) und die Rechten nationales Pathos. Eine Wertedebatte im Wahlkampf ist ihr zu riskant.
Es könnte helfen, ein paar Zuhörern die Hand zu schütteln. Wenn Merkel verliert, dann auch, weil sie schon im Auto sitzt, wenn „Angie“ gespielt wird.