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Von Nazis drangsaliert und verfolgt

Das Sprengel-Museum in Hannover stellt sich in der Ausstellung „Verfemt – Gehandelt“ der Herkunft ihres 1949 erworbenen Grundstocks moderner Kunst. Zugleich wird von den Mühen der Provenienzforschung erzählt

Von Frank Keil

Man könnte es sich zunächst ganz einfach machen. Und nur die Grundgeschichte erzählen, die folgendermaßen geht: 1949 kaufen die Stadt Hannover und das dortige Landesmuseum von dem Kunsthändler und -sammler Conrad Doebbeke 115 Werke moderner Kunst an. Wie Doebbeke zuvor in den Besitz der Werke gekommen war, die überwiegend Künstler*innen zugeordnet werden können, die von den Nazis als „entartet“ definiert und die oftmals verfolgt und drangsaliert wurden, interessierte damals niemanden. Hauptsache, die von der Moderne zuvor entleerten Räume füllten sich, und man war wieder auf der Höhe der Zeit, als im Sommer 1950 die Erwerbungen gezeigt wurden – von Max Liebermann über Emil Nolde bis zu Christian Rohls.

Dass auf Seiten der Stadt ausgerechnet Ferdinand Stuttmann, der für die Nazis als Kunstexperte gearbeitet hatte und von ihnen anstelle des mit einer Jüdin verheirateten Direktors des hannoverschen Kestnermuseums dort eingesetzt worden war, die Einkäufe tätigte, auch das bereitete keinem der damals kulturpolitisch Verantwortlichen Kopfschmerzen. Auch als 1979 die Sammlung in das neu gegründete Sprengel-Museum überging, fragte man nicht generell und nicht im Detail nach der seinerzeitigen Herkunft der Werke.

Ist die Sammlung Doebbeke also möglicherweise ein einst zusammengeraubtes, zuweilen auch erpresstes Konvolut, damit unrechtmäßig erworben und ebenso unrechtmäßig an den nächsten Besitzer weitergegeben? Wo doch in der bisher kaum bekannten, weil nicht aufgearbeiteten Biografie Conrad Doebbekes ein Datum wie selbsterklärend hervorragt: 1931 tritt Doebbeke der NSDAP bei. Noch Fragen?

Widersprüchliche Person

Ja, durchaus. Denn was Annette Baumann, städtisch angestellte Provenienzforscherin und Kuratorin der Ausstellung, in den letzten Jahren zu Doebbeke recherchieren konnte, lässt ihn als eine womöglich vielschichtige, vielleicht auch widersprüchliche Person erscheinen: Doebbeke, 1914 mit 25 Lebensjahren Kriegsfreiwilliger, ist ab dem November 1918 an recht führender Stelle im rebellierenden Soldatenrat der ostpreußischen Stadt Allenstein zu finden. Er gibt eine Zeitung namens Rote Fahne heraus, ist kurz Mitglied der SPD, arbeitet dann am Parteiprogramm der USPD mit.

Doebbeke promoviert in Jura, gründet diverse Filmgesellschaften, wechselt ins Immobiliengeschäft, heiratet 1925 in eine wohlhabende Künstlerfamilie ein, wird Kunsthändler. Er tritt der Deutschen Demokratischen Partei bei, wechselt in die Deutsche Volkspartei, aus der die Deutsch-Nationale Volkspartei wird; wegen vorheriger Doppelmitgliedschaft in ihr wird er 1935 aus der NSDAP entfernt. Ob er je versucht hat, dort erneut Mitglied zu werden und wie er generell zum Nationalsozialismus stand und sich verhielt, ist unklar.

Obskur erscheint sein Ende: Anfang September 1954 rast er mit seinem Wagen in den Grenzstreifen des russischen Sektors bei Berlin-Dreilinden. Weil er sich weigert, diesen zu verlassen, wird auf ihn geschossen. Einen Monat später erliegt er seinen Verletzungen. Soweit der derzeitige Stand – und diese Formulierung ist vorerst beizubehalten.

„Man hat nur das Korrespondenzkonvolut, das damals mit dem Verkauf der Sammlungswerke entstanden ist, wir haben aber kein privates Archiv von Doebbeke, und das macht die Forschung so schwierig. Man muss alles rekonstruieren: sowohl die Angaben zu seiner Person als auch die Äußerungen zu den von ihm gekauften Werken“, beschreibt Annette Baumann die Ausgangslage. So fehlt auch eine Inventarliste der von ihm über Jahrzehnte aufgekauften Werke, die Klarheit über den Aufbau seiner Privatsammlung bringen könnte, deren letzte Sammlungsbestände nach seinem Tod 1954 von seiner Witwe und dem gemeinsamen Sohn an verschiedene deutsche Museen verkauft wurden.

Gezielt gesammelt

Baumann weist zudem auf einen wichtigen Sachverhalt hin: Doebbeke hat gezielt Bilder der verfemten, weil von den Nazis verhassten Moderne gekauft und gesammelt. Weil sie ihm gefielen? Weil sie seinem Verständnis von aktueller Kunst entsprachen? Weil er genau diese Künstler unterstützen wollte? Oder weil er von Anfang an mehr als ahnte, dass das auf 1.000 Jahre angelegte Deutsche Reich schon bald in Trümmern liegen und sich dann die eben noch verhasste und aus den Museen und Galerien entfernte Kunst nun bestens verkaufen würde?

Man weiß es nicht, forscht noch, wie er jeweils zu den einzelnen Werken gekommen ist. Annette Baumann sagt: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass er Kunst bei direkt Verfolgten erworben hat, aber er hat nicht die Art von Kunst gesammelt, die von den Nazis protegiert war.“ Und so muss man sich die Mühe machen, Bild für Bild auf seinen Erwerb, seinen Ankauf und Verkauf hin zu untersuchen – und in diesem Sinne stellt die Ausstellung „Verfemt – Gehandelt“ einen ersten Zwischenstand dar.

„Es geht um laufende Forschungen, es geht im Sinne der Transparenz auch darum, das Publikum an den bisherigen Ergebnissen teilhaben zu lassen“, sagt Baumann. Ausgelöst auch dadurch, dass 2007 auf eine Anfrage der Erbengemeinschaft des Malers Lovis Corinth hin, dessen Werk „Römische Campagna“ von 1914, das Doebbeke damals nach Hannover verkaufte, restituiert und also zurückgegeben wurde und damit die gesamte, 1949 von ihm erworbene Sammlung unter Verdacht geriet.

Exemplarisch führt die Studie „Tennisspieler am Meer“ von Max Liebermann auf das Feld von Mutmaßungen und zu klärenden Fragen: Sie gehörte dem Literaten und Kunsthändler Eduard Fuchs, der ein prominenter Kommunist war. Gleich im März 1933 wurde sein Berliner Villa, die Mies van der Rohe erbaut hatte, geplündert. Bald darauf wurde auch sein Sammlungsbestand beschlagnahmt, da war er schon im Exil. Von dort aus gelang es ihm, die Beschlagnahmungen rückgängig zu machen – er war ja kein Jude, dann wäre das nicht möglich gewesen. Dennoch war er aus finanziellen Gründen gezwungen, seine Sammlung zu versteigern.

Unter welchen genauen Umständen das Liebermann-Bild 1937 an wen versteigert wurde und wie es schließlich Doebbeke erwarb, ist unklar; auch weiß man zum heutigen Zeitpunkt nicht, ob es noch Erben gibt, die gegebenenfalls Ansprüche stellen könnten.

Wieder anders die Lage bei dem Aquarell „In den besten Jahren“ von George Grosz, das ursprünglich „Jüdischer Herr geht mit junger Dame spazieren“ geheißen haben könnte. Aufgefunden wurde es 1946 in einem Schließfach Doebekkes in Wiesbaden. Die amerikanischen Behörden verlangten den Beleg des rechtmäßigen Erwerbs, den er liefern konnte: Er hatte es von der Witwe des jüdischen Kunsthändlers Heinrich Kirchhoff erworben, die nach seinem Tod 1934 dessen umfassende Sammlung nach und nach verkaufte. Möglicherweise haben sich Tony Kirchhoff und Conrad Doebbeke damals bereits gekannt; auf jeden Fall treten später Tony Kirchhoff und Doebbekes Witwe Elsa kurzzeitig bei Ankaufsverhandlungen in Wiesbaden gemeinsam auf. Wo die anderen Werke aus Doebbekes Schließfach – darunter ein Bild Lyonel Feinigers – verblieben sind, ist dagegen unklar.

Es ist – man ahnt es – keine Ausstellung geworden, die man lockeren Schrittes durchschreitet und gut gelaunt wieder verlässt. Sie führt uns vielmehr mitten hinein in den Terror der Nationalsozialisten. Wie diese die Galerien und Auktionshäuser jüdischer Bürger auflösten, deren Besitz beschlagnahmten, wie sie allein während der „Aktion Entartete Kunst“ im Sommer 1937 gut organisiert 21.000 Kunstwerke raubten, auch davon wird begleitend erzählt.

Von daher: Es muss sehr viel gelesen werden und man muss die Texte auch aufmerksam aufnehmen, um schließlich den verschiedenen Wegen der rund 80 ausgestellten Werke zu folgen und sich im Dickicht der vielen Namen von Kunsthändlern, Galeristen sowie Auktionshäusern, die seinerzeit tätig waren, die ihrer Existenzen beraubt wurden oder die mit den Nazis gemeinsame Sache machten, nicht zu verlieren. Doch wo es umfänglich ist, ist Ausführlichkeit unausweichlich. „Man muss immer auch ein Hinterzimmer aufmachen, muss erzählen, was gewesen ist. Nur eine Namenskette abzuschreiben, vermittelt nicht, was passiert ist und welches Schicksal sich dahinter verbirgt“, sagt denn auch Annette Baumann.

Damit stellt die Ausstellung über ihren Gegenstand hinaus – der Erwerb der Sammlung Doebekke 1949 – zwei grundsätzliche Fragen an die Museen, aber auch an das Publikum: Wie eine didaktisch vertretbare Form finden, die die Fülle an Informationen, an Ableitungen, auch an Mutmaßungen so wiedergeben kann, dass diese verständlich bleiben, aber die Komplexität des Geschehens nicht übergangen wird? Und: Wie ist mit den Werken und all dem Wissen über sie umzugehen, wenn diese sozusagen die Sonderausstellungen wie die derzeitige im Untergeschoss des Sprengel-Museums wieder verlassen? Einfach kommentarlos in die ständige Sammlung zurückhängen?

Hoffnung auf Auswirkungen

Annette Baumann ist derweilen noch auf die Gegenwart der kommenden Tage und Wochen eingestellt, denn sie hofft, dass die Ausstellung für ihre Arbeit ganz praktische Auswirkungen hat: „Ich verbinde mit der Ausstellung auch die Hoffnung, Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit zu bekommen, sowohl von Experten als auch von Privatpersonen“, sagt sie. Dass vielleicht ein privates Quellenkonvolut gefunden wird, Briefe auftauchen, auch Fotos: Denn bisher gibt es etwa von Doebbeke nur eine Art Passfoto für seinen NSDAP-Ausweis und ein Bild mit verbundenem Kopf im Krankenhaus. Baumann sagt: „Ich habe öfter die Erfahrung gemacht, dass Privatpersonen im Kontakt mit Museen das eine und andere äußern und auch hinterlassen – darauf hofft die Provenienzforschung.“

Bis 17. 11., Hannover, Sprengel-Museum

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