: Als existiere die DDR noch
Die Bundesregierung stellt die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vor. In ihrem „Deutschlandatlas“ verteilt sich die soziale Spaltung so, als wäre die Mauer nie gefallen. Horst Seehofer will „von Herzen kommende Solidarität“
Aus Berlin Anja Maier
Der Innenminister ist guter Stimmung. Als Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch in der Bundespressekonferenz die Ergebnisse der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ samt dazugehörigem „Deutschlandatlas“ vorstellt, gibt es kein Halten mehr. Obwohl neben ihm noch zwei weitere Bundesministerinnen Platz genommen haben, lässt er die Frauen kaum zu Wort kommen. Dabei sind Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) gemeinsam mit Seehofer federführend in dieser Angelegenheit.
Vor Jahresfrist hat Schwarz-Rot, wie im Koalitionsvertrag verabredet, die Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ins Leben gerufen. Ihr gehörten neben den drei Genannten alle BundesministerInnen und StaatsministerInnen an, außerdem die MinisterpräsidentInnen, zudem die kommunalen Interessenvertreter. Sie sollten Handlungsempfehlungen erarbeiten, wie in einem alternden, sich sozial spaltenden Land gleichwertige Lebensverhältnisse hergestellt werden könnten. Es ging um Infrastrukturfragen wie Mobilfunk und Verkehr, um Verwaltung, Wirtschaft und Innovation, um Arbeit und Finanzen, aber auch um den weichen Faktor des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Dass an diesem Mittwoch nicht wie geplant der Abschlussbericht der Kommission vorgestellt wurde und stattdessen die MinisterInnen die Ergebnisse lediglich „einschätzten“, ist dem Umstand geschuldet, dass man sich in Frage der Altschulden nicht hatte einigen können. Stattdessen wurde ein „Deutschlandatlas“ mit „Karten zu gleichwertigen Lebensverhältnissen“ verteilt. Darin sah es bei Faktoren wie Privatvermögen, Ärzteversorgung oder Minijobs aus, als existiere dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch die DDR – so deutlich waren die Unterschiede zwischen Ost und West.
So kam es denn also zu diesem etwas blumigen Auftritt von Seehofer, Klöckner und Giffey. „Das Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu leben“, sagte Innenminister Seehofer. „Dazu müssen wir die Strukturpolitik und die Förderpolitik in Deutschland neu justieren.“ Wenn unterschiedliche Lebensverhältnisse zum Nachteil für die Menschen würden, müsse sich die Politik kümmern.
Derzeit werden vor allem Regionen im Osten Deutschlands gefördert – doch Hilfe ist längst auch in anderen Gebieten nötig. „Es gibt Regionen, die drohen den Anschluss zu verpassen“, sagte Julia Klöckner. „Diese Lücken werden wir nicht durch Gießkannenpolitik schließen.“ Sie müssten gezielter als bisher unterstützt werden. „Förderung muss daher eine Frage des Bedarfs, nicht der Himmelsrichtung sein.“ Deshalb müssten starke Regionen auch zurückstecken, mahnte Franziska Giffey. „Das wird nur funktionieren, wenn die, die stärker sind, bereit sind, sich um die Schwächeren zu kümmern.“
Auf die konkrete Frage nach den Kosten der angedachten Maßnahmen blieben die drei MinisterInnen die Antwort schuldig. Seehofer erklärte, man habe sich verständigt, dass dies Jahr für Jahr mit dem Finanzminister ausgehandelt wird. „Eine von Herzen kommende Solidarität ist möglich“, sagte er. Und dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) es schon richten werde.
Tatsächlich könnte das, was die drei Kabinettsmitglieder präsentierten, teuer werden. Im Bericht heißt es nämlich, der Bund könne beim Altschuldenabbau der Kommunen „einen Beitrag leisten, wenn es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen“. Horst Seehofer stellte am Mittwoch allerdings klar, dass der Bund die Altschulden der Kommunen nicht übernehmen werde. „Wir sind bereit, über dieses Thema zu reden“, sagte er. Zuständig seien dafür jedoch die Länder. „Wir wollen ein Signal des guten Willens setzen“, fügte Seehofer hinzu. Nach seinen Worten sind 2.000 der 11.000 Kommunen in Deutschland besonders betroffen.
Immerhin hat sich die Kommission auf Handlungsfelder verständigt. So soll es Fördermittel für die Sanierung von Ortskernen geben, damit dort wieder mehr Menschen leben. Wo sich die Installation von schnellem Internet für Telekomfirmen nicht lohnt, soll der Staat über Steuermittel einspringen. Außerdem will sich der Bund länger als geplant an sozialem Wohnungsbau und guter Kitabetreuung beteiligen. Wie genau das finanziert werden soll, ist weiter offen.
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