: Die Stimme ihres Präsidenten
FÜRSPRACHE Emotional inszeniert sich Michelle Obama auf dem Parteitag und bereitet den Boden für die Wiederwahl ihres Gatten
AUS CHARLOTTE, NORTH CAROLINA DOROTHEA HAHN
Michelle Obama betritt die Bühne in Pink – vom ärmellosen Kleid bis hinunter zu den hochhackigen Pumps. Und mit dem einfühlsamen, klugen Lächeln, mit dem sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren die Herzen erobert hat, während die Popularitätskurve ihres Gatten nach unten ging. „Präsident zu sein verändert einen nicht, es enthüllt den wahren Charakter“, ruft sie den 35.000 Menschen auf dem Parteitag der Demokraten zu und will damit demonstrieren, dass Barack Obama noch immer der treue, sorgende und liebevolle Familienvater ist. Mit diesen Eigenschaften regiert er auch das Land, so die Botschaft der First Lady. In Charlotte hat sie die Demokraten auf ihrer Seite, sie winken ihr mit Transparenten zu, auf denen „Michelle – wir lieben dich“ steht.
Die 48-Jährige, die nicht zur Wahl steht, ist der Star des ersten Abends des demokratischen Parteitags in Charlotte. Sie schafft es meisterinnenhaft, das Persönliche und das Politische zu verbinden und ihm einen historischen Rahmen zu geben. Während sie von sich, von ihrer Familie und von ihrem Mann spricht, redet sie die Romneys in Grund und Boden – ohne deren Namen auch nur zu erwähnen. Noch bevor sie zu den Klängen von Beyonce die Bühne verlässt, beginnt begeistertes Twittern: „Die beste Rede, die je eine First Lady gehalten hat“. Auf dem Heimweg im öffentlichen Bus versichern weibliche Obama-Fans mit verklärten Gesichtern: „Diese Frau hat beide Füße auf dem Boden. Sie liebt ihren Mann, ohne ihn zu vergöttern. Sie ist wie wir“.
Im Wahlkampf 2012 kandidieren vier Männer – zwei Präsidentschafts- und zwei Vizepräsidentschaftskandidaten. Entscheidend sind aber vor allem zwei Frauen. Die Ehefrauen von Präsident und Herausforderer sollen die Millionen von Unentschiedenen gewinnen, die den Ausgang der extrem knappen Wahl bestimmen werden. Die 63-jährige Ann Romney hatte ihren großen Auftritt in Tampa/Florida vor einer Woche. Sie trat in Rot auf. Und versuchte eindringlich, ihre Familie als eine ganz normale „amerikanische Erfahrung“ zu beschreiben, ihren Mann menschlicher zu machen, in dem sie seinen Umgang mit ihren beiden schweren Krankheiten Krebs und Multiple Sklerose beschrieb.
Zwischen Michelle Obama und Ann Romney liegen eine Generation und mehrere Welten. Die eine ist schwarz, die andere weiß, die eine ist Tochter von Arbeitern, die in der Zeit der Rassentrennung aufgewachsen sind, die andere ist Multimillionärin, Michelle Obama hat eine eigene Karriere als Anwältin und als linke Aktivistin, Ann Romney ist wertkonservativ, Hausfrau, Mutter und Großmutter. Aber in diesem Wahlkampf spielen beide eine traditionelle Rolle von Ehefrauen, die für die Gefühle zuständig sind. Und für die Familie.
Doch das Bild von Familie und von Gemeinschaft, das die beiden Frauen zeichnen, ist grundverschieden. Charlotte und Tampa offenbaren zwei Kulturen. Der Parteitag der Demokraten spiegelt ein Bild von einem jungen und vielfältigen Land. In den Reihen der Kongresshalle von Charlotte sitzen Afroamerikaner, Muslima mit Kopftuch, Frauen, Lateinamerikaner. Während die Republikaner in Tampa mehrheitlich weiß und älter waren und jede kontroverse Diskussion vermieden haben.
Die Delegierten der Demokraten wagen Widersprüche. Und zeigen die Diversität ihres Landes. Auch in Charlotte tragen manche Frauen die patriotischen US-Farben. Und auch in Charlotte skandieren sie manchmal „USA, USA“. Doch beides ist seltener als in Tampa. In Charlotte sind mehr schwule und lesbische Delegierte vertreten als je zuvor bei einem Parteitag in den USA. Sie feiern Obamas Abschaffung der Geheimnistuerei im Militär und sein Bekenntnis zum Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe. Auffallend ist die große Zahl von Afroamerikanern und – vor allem – von Lateinamerikanern. Sie sind die aufsteigende Minderheit im Land. Kein Präsident kann die Wahl im November ohne ihre Stimmen gewinnen.
Frauen und Lateinamerikaner haben in Charlotte die beste Möglichkeit, ans Mikrofon zu kommen. Die wichtigste Rede – die „Key-Note“, die auf das große Ganze einstimmen soll – hält ein junger Latino, der Bürgermeister Julian Castro von San Antonio in Texas. Er ist ein ökologisch angehauchter neuer Star, dem viele in seiner Partei eine große Zukunft prognostizieren. Nachdem sein Zwillingsbruder ihn vorgestellt hat, erzählt Julian Castro eine Tellerwäschergeschichte, die mit seiner Großmutter in Mexiko beginnt und ihren Höhepunkt in den USA findet.
Unterschiedlich sind auch die politischen Schwerpunkte. Während Romney in Tampa vor allem seinen Konkurrenten attackiert hat, versuchen die Demokraten in Charlotte ihre Bilanz zu verkaufen. Sehr viele sprechen über die Gesundheitsreform, die verhindert, dass Menschen wegen einer Krankheit verelenden. Das ist eine neue, offensive Qualität, nachdem Obama seine eigene Reform lange Zeit kaum verteidigt hat. Kaum jemand vergisst auch die Rettung der US-amerikanischen Autoindustrie. Vizepräsidentschaftskandidat Joe Biden hat schon vor dem Parteitag einen Slogan versucht, der die eigene Bilanz sloganfähig macht: „Bin Laden ist tot. Und General Motors lebt.“
Die „nationale Sicherheit“ in seiner Präsidentschaft ist ein Thema, mit dem Barack Obama selbst in seiner Rede am Donnerstag Abend punkten will. Seine Berater verweisen darauf, dass er das Land „sicherer“ gemacht habe.
Jenseits der zentralen Rollen für die Ehefrauen gibt es weitere Parallelen in der Choreografie. Jeder Abend – die Parteitage beginnen am frühen und enden am späten Abend – beginnt mit Gebeten und nationalen Hymnen. Die Redner überschwemmen ihr Publikum mit persönlichen Geschichten. Auf den Bühnen ist mehr von Großeltern, Eltern, Kindern und Enkeln die Rede als von Politik. Und der Hinweis, dass das eigene Land „das größte der Erde“ sei, ist beiderorts einer der häufigsten Sätze.