: Ziemlich viel brillantes Schlaumeiertum
BEOBACHTUNGSPERLEN Seitenweise chinesische Schriftzeichen, diagonal gesetzte Sätze, Absätze, die Aufzug fahren: Mit „Verteidigung der Missionarsstellung“ gelingt Wolf Haas mal wieder ein sehr ungewöhnlicher Roman
VON BRITTA PETERS
Einen vernünftigen Text zu schreiben, nachdem man ein Buch von Wolf Haas gelesen hat, ist schwer. Haas steckt an. Als Autor der Brenner-Serie hat er sechs Kriminalromane vorgelegt, in denen er aufs Lässigste, gerne auch in Nebensätzen, feinste Lebenswahrheiten serviert. „Aber jetzt pass auf“, sucht er immer wieder den direkten Kontakt zu seinen Lesern, und überhaupt: Umgangssprache ganz groß. All das hat seit 1996, damals erschien mit „Die Auferstehung der Toten“ der erste Band mit Detektiv Simon Brenner, bestimmt schon Generationen von Schreibenden im deutschsprachigen Raum geprägt. Legende, Hilfsausdruck – auch dieser unschlagbare Ein-Wort-Kommentar stammt von ihm.
Über Haas zu schreiben, ist erst recht schwer, weil man sich davor hüten muss, auf eine peinliche Insiderwitzebene zu verfallen. Immerhin erleichtert die Überfülle von literaturtheoretischen Verweisen, von inhaltlichen wie formalen Wortspielen in seinem neuen Roman „Verteidigung der Missionarsstellung“ die kritische Distanz. Darin gönnt er sich nicht nur einen offensichtlichen Seitenhieb auf Michel Houellebecqs kontrovers diskutiertes Buch „Ausweitung der Kampfzone“ von 1994, sondern auch allerlei Layoutspielereien: Seitenweise chinesische Schriftzeichen; Sätze, diagonal oder im Paisley-Muster gesetzt; Schriftblöcke, die Aufzug fahren, und Absätze, die sich derart klein verdichten, dass sie kein Mensch mehr lesen kann.
Typisch für das Haas’sche Feingefühl ist jedoch, dass er gerade in dem Moment, wo das Ganze unangenehm aufdringlich zu werden beginnt, damit aufhören kann. Abgesehen von einem aus Satzzeichen konstruierten Smiley, das irgendwo auf den hinteren Seiten noch hinterhergestolpert kommt, setzt im letzten Drittel des Buches mit großem Hallo der vertraute Erzählton ein.
Die Handlung selbst zeigt sich dabei ähnlich verschachtelt wie im ersten Nichtkrimi des österreichischen Autors „Das Wetter vor 15 Jahren“ von 2006. Kurz, wir lesen das stellenweise als Ich-Erzählung aus der Perspektive des Protagonisten Benjamin Lee Baumgartner verfasste Manuskript eines Ich-Erzählers, der sich später als Sohn eines Herrn Haas entpuppt. Inklusive dessen eigenen Korrekturnotizen. Ausgehend vom Schicksal seines Freundes Baumgartner handelt es von Liebe, Kausalität und anderen Seuchen.
Prägender als die Geschichte selbst, die ausnahmsweise auf mehreren Kontinenten spielt, ist Haas’ souveränes Jonglieren mit Sprache, Sprachtheorie – und Akzenten. Ü-Pünktchen sitzen gerne dort, wo sie nicht hingehören, anderswo fehlen sie charmant. Während das Paradox des Logikers Alfred Tarski durch die Zeilen spukt, dass ein Satz nicht über sich selbst sprechen darf, geht es um Namen und Namenlosigkeit. Und all das eingebettet in gewohnt lakonische Beobachtungsperlen: „Ich finde es blöd, dass man den Amerikanern ihre Freundlichkeit vorwirft. Freundlichkeit ist doch immer oberflächlich. Man wirft doch der Haut auch nicht vor, dass sie oberflächlich ist“, stellt Baumgartner beim Besuch in Santa Fe fest, als er dort nach seinem Erzeuger sucht.
Der Protagonist trägt den Vornamen des berühmten Hopi-Forschers Benjamin Lee Whorf. Whorf forschte bei dem Indianerstamm zur Frage, wie Sprache unser Denken beeinflusst. Angeblich profitierte er in wissenschaftlicher Hinsicht aber ebenso von seinen Erfahrungen als Angestellter einer Feuerversicherung. Kolportiert wird die Geschichte eines Unglücksraben, der das Wort inflammable als „unentzündlich“ missverstand; ein analytisches Sprachverständnis, das Haas begeistert anhand des deutschen Worts „Unfug“ aufnimmt. Das Gegenteil von „Unfug“ muss „Fug“ sein.
Und so kommt eins zum anderen. Benjamin Lee Whorf hatte übrigens realiter eine berühmte Schülerin Mary Haas – und Indianer liebende Hippiemütter spielen im Buch sowohl für Baumgartner als auch für den Erzähler eine prägende Rolle. Auch das – Stichwort egoistische 68er-Generation – ist bekanntlich ein großes Thema des französischen Autors Michel Houellebecq. Dessen zynischen Thesen über Sex und neoliberale Ökonomie stellt Haas eine mit wortreicher Sprachlosigkeit hervorragend beschriebene verliebte Eingangssequenz gegenüber.
Trotz ziemlich viel brillantem Schlaumeiertums scheint Haas insgesamt jedoch die Arbeit an seinem 2010 veröffentlichten Kinderbuch „Die Ganz im Gegenteil“ noch in den Knochen zu stecken. Er experimentiert mutig bis albern und übertreibt ein bisschen. Aber das ist alles verzeihlich. Das Einzige, was wirklich nervt, sind die Korrekturnotizen des Ich-Erzählers – und dass dieser sein Mac-Book-Air wiederholt als seine Geliebte bezeichnet.
■ Wolf Haas: „Verteidigung der Missionarsstellung“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 224 Seiten, 19,90 Euro