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In Moskau gibt es sie auf dem Roten Platz, in Paris immer am 14. Juli, und Donald Trump wollte jetzt auch eine haben: Militärparaden. Der Fotograf Daniel Chatard aber interessiert sich eher für die Ränder des Aufmarschs

Von Martin Reichert

Panzer rasseln, Raketen rollen, Stiefel knallen auf Kopfsteinpflaster: Die Militärparade, das ist der feuchte Traum nicht nur des herkömmlichen Diktators, sondern auch fester Bestandteil des nationalen Geschehens westlicher Demokratien – so etwa anlässlich des Nationalfeiertags am 14. Juli in Frankreich. Und in Russland rollen einmal im Jahr am 9. Mai phallische Geschosse auf weißwandbereiften Transportern durch die großen Städte, um an den Sieg über das faschistische Deutschland zu erinnern.

Der Fotograf Daniel Chatard, Jahrgang 1996, musste selbst weder Militär- noch Zivildienst leisten – und ist kein Freund militärischen Zeremoniells. Die mit Militärparaden meist verknüpfte nationalistische Propaganda lehnt er ab. Gleichzeitig respektiert er, dass Menschen im Rahmen einer solchen Parade ihrer Toten gedenken: „Es gibt in Russland zum Beispiel die Parade des ‚unsterblichen Regiments‘, da tragen Bürger Bilder ihrer verstorbenen Verwandten, das ist schon berührend, vor allem vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrungen, die Russland im Zweiten Weltkrieg hat machen müssen.“

Die erste Parade dieser Art hatte er durch Zufall in Paris erlebt, als er dort auf Reisen war: „Das war 2016, und ich fand einfach nur bizarr, dass Kriegsgeräte auf diese Weise in einer europäischen, demokratischen Hauptstadt präsentiert werden.“

Wenig später verschlug es Chatar, der Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover studierte, für ein Auslandssemester ins russische Tomsk – wo er erneut mit der typischen Sonntagsinszenierung grober Kriegshandlungen konfrontiert wurde, einer Hochglanz-Militärparade, die ganz ohne Schlamm- und Blutspritzer daherkam.

Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen, er sitzt derzeit auf gepackten Koffern, um erneut bei der Parade des 14. Juli in Paris dabei zu sein: „Ist es nicht äußerst merkwürdig, dass Leute Kriegsgerät feiern?“, fragt sich Chatar, der zugleich Dokumentar genug ist, die Motivation der Beteiligten vor Ort nüchtern zu erfassen: „Das ist ja auch so eine Art Tag der offenen Tür des Militärs, man kann sich mal in die Fahrzeuge setzen.“ Ob wohl die beteiligten Soldaten Freude an dem polituraufwendigen Tschingderassabumm hätten? Chatar sagt: „Mein Eindruck ist, dass es da schon eine gewisse Freude gibt, sich zu präsentieren. Und die Leute, die dorthin kommen und am Rand stehen, sind ja eben auch keine Gegner oder Kritiker. Die haben ja Gefallen daran.“

Insofern ist eine Militärparade natürlich extrem ­instagramabel. Gut nur, dass Daniel Chatar einen anderen Blick auf die Dinge hat. Sein Blick ruht auf dem Menschlichen, nicht dem Martialischen.

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