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Wenn der Antichrist mit Zahlen malt

Barocke Festtagstafeln, an die man sich nicht setzen möchte, Holzbildhauerei aus Südtirol und harte Stillleben: Die Stadtgalerie Kiel zeigt fordernde aktuelle Kunst aus Italien

Von Frank Keil

Es ist nur ein Punkt. Ein kleiner, leicht unscharfer Punkt, der über die Leinwand hüpft, mal hier, mal da ist. In der Mitte hell weiß, lila umrandet, dann noch mal rot umkreist, wie eine Zielmarkierung im Krimi, wenn der Scharfschütze sein Opfer anpeilt. Und irgendwie bemerkt die Frau, auf die wir schauen, den Punkt, wie er stört; versucht ihn fahrig wegzuwischen, entdeckt ihn erstaunt, verfolgt ihn, ist drauf und dran, ihn zu fangen, lässt ab; hat das Interesse verloren, gibt vor, gleichgültig zu sein, wird ärgerlich und schaut uns nun an.

„Sotto tiro“ heißt die Arbeit, eine Videoperformance von und mit Silvia Gimabrone; der Titel zu übersetzen mit: „Unter Beschuss“. Zu sehen ist sie derzeit in der Kieler Stadtgalerie: vorn auf einem Bildschirm im Foyer und dann noch mal in den Ausstellungsräumen auf eine raumfüllende Leinwand projiziert, leicht hinten links, eine eindrückliche Begegnung.

Es geschieht nicht oft, dass die Stadtgalerie Kiel den Blick gen Süden richtet. Meist schaut man nordwärts, folgt dem Weg der Skandinavien-Fähren, die in Sichtweite ankern, stellt gern junge Fotografie aus Finnland vor, hat auch schon aktuelle Kunst aus Polen und dem Baltikum mitgebracht, auch wenn die Zeiten, in denen mit dem Format „Ars Baltica“ eine regelmäßige vergleichende Kunstschau aus dem Ostseeraum verbunden war, leider vorbei sind.

Und immer wieder blickt man auch ins eigene Land, das Jahr abschließen wird die Vergabe des Brockmann-Preises, für den KünstlerInnen nominiert und dann ausgewählt werden, deren künstlerischer Werdegang in Kiel begann, die sich hier etablierten und oft immer noch vor Ort sind.

Zwischendurch aber geht es immer wieder nach Italien, was am „Premio Fondazione VAF“ liegt, einem Kunstpreis, gedacht für KünstlerInnen aus Italien, die von der Jury in ihren Ateliers aufgesucht werden, wie weit entfernt sie auch wohnen, diesmal waren es um die 80. Nur jünger als 40 Jahre müssen sie sein, die Werke der Nominierten werden anschließend auch an verschiedenen Orten in Deutschland gezeigt.

Fünfmal schon hat die Stadtgalerie Kiel sie präsentiert. Diesmal werden 16 Positionen vorgestellt, verteilt auf die Sparten Skulptur, Installation, Malerei, auch Fotografie und eben Videokunst. Womit wir wieder bei Silvia Giambrone wären, die für ihre Arbeit zu Recht den Hauptpreis erhalten hat.

Was auffällt: Es ist erstaunlich viel Malerei dabei, die es ins Feld der Nominierungen geschafft hat. Darunter die Arbeiten von Emanuele Giuffrida, der in die Räume von Spielhallen oder U-Bahn-Abteilen eintaucht, der auf einen Imbisswagen im Dunklen schaut und es wird einem einsam uns Herz – dafür gab es einen Anerkennungspreis.

Gefallen können auch die ungeschönten, harten Stillleben von Andrea Fontanari, der uns in Hotelzimmer führt, der uns zum Sitzen auf seltsam desolate Stühle einlädt. Wie überhaupt beide Maler dadurch überzeugen, dass sie ihrem Medium ganz vertrauen, dass sie auf jede Art von postmodernen Referenzen selbstbewusst verzichten, die man sonst aus der neuen Malerei kennt.

Es gibt aber auch vergleichsweise Seltsames zu entdecken: die fordernde bis aufdringliche Malerei von Giovanni Gasparro etwa, der sich der Symbol- und Formsprache des Barocks bedient, um ganz eigene, leicht bis schwer psychotische Welten aus üppigen Männerleibern, ausgezehrten Heiligen und ausladenden Festtagstafeln, an die man sich nicht setzen möchte, zu erschaffen. Und man bekommt eine Ahnung, wie anstrengend es sein muss, so radikal mit einer ganzen Stilepoche zu ringen und wie mächtig der Katholizismus noch in seiner Abwehr ist. Auch stellt sich die Frage: Wie kommt der Maler da malerisch je wieder raus?

Emanuele Giuffrida schaut auf einen Imbisswagen im Dunklen und es wird einem einsam uns Herz

Regelrecht freundlich stehen einem die Skulpturen des Bildhauers Davide Balossi im Wege, der seinen Männer- und Frauenfiguren schon mal eine Hose oder ein Kleid aus Baumrinde, Holzspänen oder Nussschalen verpasst. Balossi bezieht sich auf die traditionelle Holzbildhauerei Südtirols, die er erlernt hat, um nun das formale Handwerk entschieden aufzufrischen und neu zu beleben.

Vom Abarbeiten berichtet auch das Duo Tania Brassesco und Laszlo Passi Noberto in ihren aufwendig hergestellten Foto-Inszenierungen berühmter, stilprägender Gemälde wie „Nackte Wahrheit“ von Gustav Klimt oder „Sitzende Frau mit gebeugtem Knie“ von Egon Schiele. Wie sorgsam die beiden vorgehen, wie genau sie etwa den Hut auf der Bank neben der Frau für ihre Version von „Träume“ des Stars der italienischen Porträtmalerei Vittorio Matteo Corcos fertigen und dann drapieren, zeigt dazu ein erklärendes Video, gleichfalls im Foyer zu sehen; nebenbei eine schöne Handreichung für alle, die sich über das Einzelbild hinaus für das Genre des Bühnenbildes begeistern.

Ein noch mal ganz anderes Feld beackert Domenico Antonio Mancini: Auch wenn man ihn vordergründig der Malerei-Fraktion zuschanzen könnte, so ist er doch gewissermaßen deren Antichrist. Denn auch er hat sehr sorgsam Leinwand gespannt, sie grundiert und dann bemalt. Doch statt einer Szenerie, einem Porträt oder einer abstrakten Form-und-Farb-Erkundung finden sich sehr puristisch lange Zahlenreihen aufgemalt. Ohne Aufklärung geht es nun nicht weiter.

Denn man muss sich die vor einem hängende Ziffernfolge merken oder notieren, sie in die Maske seines Browsers eingeben und landet an ganz anderen Orten. Klickt an, klickt sich durch, hat die nächsten Einfälle, die weiterführen und verliert sich möglicherweise. Klappt man den Laptop wieder zu, ist da wieder der Präsenz eines höchst analogen Bildes. Ein hübsches, leichtes Spiel mit Gegenwärtigkeiten, das auch davon erzählt, dass man am Ende dennoch bleibt, wo man ist.

Bis 1. September, Stadtgalerie Kiel

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