: Bilder der Gegenwart
Ein afrikanischer Raumschiff-Fernsehtechniker im DDR-Science-Fiction. Ausgangspunkt der „Afronautic Tales“ Maix Mayers in der Schwartzschen Villa war die Entdeckung Leipziger Hinterlassenschaften in Afrika
Von Brigitte Werneburg
Zwei Videoinstallationen und zehn Zeichnungen bilden die Ausstellung „Afronautic Tales“ von Maix Mayer in der Schwartzschen Villa in Steglitz. Und doch entwickelt der Künstler mit diesen minimalen Mitteln eine hochkomplexe Anordnung zu Fragen einer globalen Geschichte der Massenmedien, die auch eine des Kolonialismus wie des Postkolonialismus ist.
Maix Mayers künstlerisches Werk ließe sich wohl am besten damit beschreiben, dass er in allen denkbaren Bereichen und Feldern Bilder der Zukunft in der Vergangenheit sucht und derart an hochinformative Bilder der Gegenwart gelangt. Eine Ausstellung in der heute als Kunstareal genutzten Baumwollspinnerei in Leipzig führte ihn beispielsweise auf die Spur von deren ehemaligen kolonialen Besitztümern, Baumwollplantagen in Tansania. Das seit 1961 unabhängige Land wurde in DDR-Zeiten zum sozialistischen Block gerechnet und mit Wirtschaftshilfe bedacht.
Was, so fragte sich folgerichtig Maix Mayer, ist eigentlich das Bild von Afrika, mit dem er aufwuchs? Wo er doch in Leipzig geboren und groß wurde und noch heute dort lebt? Dabei interessierte ihn besonders das Afrikabild in den DDR-Medien. Also recherchierte er und stieß auf zwei Spielfilme mit afrikanischen Darstellern, den Fantasy-Film „Ein Schneemann für Afrika“ (1977) und den Science-Fiction-Film „Der schweigende Stern“ (1960). In Afrika wiederum war er auf die Figur des Kinoerzählers gestoßen, wie es ihn beispielweise in Tansania seit den 1930er Jahren bis heute gibt. Die Idee lag also nahe, einen Kinoerzähler an die Filme zu setzen.
So kann man nun auf dem großen Screen im Hauptraum der Galerie DJ Mark in einer ungeschnittenen Filmeinstellung von 90 Minuten Länge beobachten, wie er einem lokalem Publikum das Geschehen im „Schweigenden Stern“ übersetzt, obwohl er des Deutschen gar nicht mächtig ist. Dieser Umstand verdeutlicht aber nur, was den Kinoerzähler auszeichnet: Er ist autonomer Guide durch den Originalfilm, den er sprechen lässt, wann und wie er will. Und weil er an Zigtausenden von Filmen geschult ist, die er in seiner Laufbahn vorgestellt hat, darf man annehmen, dass sich seine Erzählung nur wenig, aber sicher bedeutsam von der des Filmes absetzt.
Kommentator, Kritiker
Denn der Kinoerzähler, wie Maix Mayer ihn treffend charakterisiert, ist derjenige, der das Globale ins Lokale transformiert, er ist also nicht einfach nur Erzähler und Übersetzer, sondern Interpret, Kommentator, Kritiker, er ist ein Sprechstimmendarsteller, dazu ein Entertainer und der Vertreter des Publikums. Dieses Publikum findet sich in kleinen Videokinos zusammen, umfunktionierten Wohnzimmern oder Ladenlokalen, die auch nicht verdunkelt sind wie unsere Kinos.
Als Agenten des Publikums verstehen sich auch die Straßenmaler in Daressalam, die dessen Aufträge entgegennehmen. Für Maix Mayer malten sie eine nun in der Schwartzschen Villa ausgestellte Bilderreihe, in der die Straßenkünstler die Vorlagen aus „Der schweigende Stern“ und die alten Plantagenfotos der Baumwollspinnerei in eine eigene afrofuturistische Erzählung transformierten. Wäre der afrikanische Darsteller im Film zufällig in der tansanischen Metropole über diese Bilder gestolpert, hätte er sich an seine deutsche Filmerfahrung erinnert?
Wie ein in Sansibar beheimateter Medizinmann auf dem zweiten Screen in der Ausstellung zu berichten weiß, soll dieser afrikanische Schauspieler noch leben, und zwar auf Sansibar. Julius Ongewe, der afrikanische Fernsehtechniker an Bord des Raumschiffs auf seiner Fahrt zur Venus, wurde damals von der Straße weg gecastet, berichtete die Filmarchitektin von „Der schweigende Stern“ Maix Mayer. Das Gespräch mit ihr war für den Künstler unabdingbar, da die Zukunftsbilder, die Maix Mayer aus der Vergangenheit bezieht, sehr stark durch Architektur definiert sind, gleichgültig, ob es wirklich um Bauten geht oder um Film, Kunst und Literatur.
Wo steckt Ongewe heute, war dann die Frage, die Maix Mayer den sansibarischen Medizinmann aufsuchen ließ, weil dieser Kontakt mit Abwesenden herzustellen weiß. Wie in „Afronautic Tales“ nun zu erfahren ist, gelingt ihm das hervorragend.
Bis 11. August, Schwartzsche Villa, Grunewaldstr. 55, 12165 Steglitz, Mo.–So. 10–18 Uhr
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