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Euphorisierte Schlange

Wie zufällig vom Himmel gefallen: Koffee & The Raggamuffins im Yaam. Noch gilt Koffee als Geheimtipp von Reggae-Fans, ihre Single „Toast“ hat bei YouTube allerdings schon über 50 Millionen Klicks bekommen

Von Annina Bachmeier

Schon zwei Stunden bevor Koffee die Bühne des Yaam betritt, zieht sich eine Menschenschlange durch den Garten des Clubs und um zwei Straßenecken. Die Securities am Eingang wirken angespannt, die Menschen in der Schlange euphorisiert.

Koffee ist neunzehn und kommt aus Spanish Town, einem Vorort von Kingston in Jamaika. Eigentlich heißt Koffee Mikayla Simpson, ihren Künstlernamen hat sie bekommen, weil sie auch in den heißen jamaikanischen Sommern nie etwas kaltes sondern immer Kaffee trinkt.

Noch gilt Koffee als Geheimtipp von Reggae-Fans, das wird wahrscheinlich nicht mehr lange so bleiben – ihre Single „Toast“ hat bei YouTube gerade über 50 Millionen Klicks bekommen.

Im Yaam riecht es nach Räucherstäbchen, auf der Bühne wird aufgelegt, die Wartenden werden in Grüppchen reingelassen. Eineinhalb Stunden vor Koffee ist die Tanzfläche fast komplett voll, die New Yorker Soulsängerin Keishera spielt als Pre-Act, es wird heißer, enger und die Stimmung immer erwartungsvoller.

In Interviews erzählt Koffee, dass sie Musik machen wollte, seit sie als Kind im Chor ihrer Kirche singen gelernt habe, Gospel sei bis heute eine Inspiration für sie, in ihrer Musik spielten religiöse Elemente eine wichtige Rolle. Später bringt sie sich über YouTube-Tutorials selbst das Gitarrespielen bei. Zu Reggae sei sie über den jamaikanischen Künstler Chronixx, mit dem sie mittlerweile schon aufgetreten ist, und Bob Marley gekommen, so Koffee. Als sie mit siebzehn Jahren einen Ausschnitt aus ihrem Song „Legend“, den sie für den jamaikanischen Olympiastar Usain Bolt geschrieben hat, auf Instagram postet, repostet Bolt diesen, der Clip geht viral, kurze Zeit später wird Koffee von dem Label Columbia UK unter Vertrag genommen, gerade tourt sie durch Europa.

Auf der Bühne schließen sich die roten Samtvorhänge vor Keishera, das Video einer Dokumentation über die Geschichte von Reggae in Jamaika wird flimmernd durch den Raum an die Vorhänge geworfen und zieht das Publikum noch mehr in Euphorie, manchmal ist darin Koffee zu sehen, dann gibt es Schreie und Pfiffe.

Als sich die Samtvorhänge wieder öffnen, steht auf der Bühne in rotes Licht getaucht Koffees Band. Ihr Gitarrist nimmt das Mikro und fragt die Menge noch etwa 20 Minuten lang, wie sehr sie Koffee sehen wollen. Irgendwann ist das Verlangen stark genug, erst joggen Koffees Backgroundsängerinnen in türkisen Hoodies und Sonnenbrillen im Gleichschritt vor ihre Mikros, dann erscheint endlich Koffee selbst. Sie trägt ein schwarzes Nike-Shirt, ihre an den Spitzen blond gefärbten Dreadlocks fallen ihr ins Gesicht, als sie auf die Bühne springt. Sie ist so klein, dass sie von etwas weiter hinten auf der Bühne manchmal hinter den Silhouetten größerer Menschen im Publikum verschwindet, trotzdem gehört ihr den ganzen Abend lang die gesamte Aufmerksamkeit im Yaam.

Eineinhalb Stunden vor Koffee ist die Tanzfläche fast komplett voll

Sie eröffnet mit „Blazin“, bei dem die ebenfalls aus Jamaika stammende Sängerin Jane Macgizmo den Refrain singt: „Light me up I’m at di gas station waitin’ / We’re the ones on fyah, got di whole world blazin’“. „Blazin“, das vom Leben in Koffees Heimat Spanish Town und gesellschaftlichen Ungleichheiten in Jamaika handelt, ist durch Koffees rappigen Anteil und Jane Macgizmos Gesang schon nach einmal Anhören extrem eingängig und hat wahrscheinlich Radio- bzw. YouTube-Hit-Superstar-Potenzial. Nach „Burning“, „Raggamuffin“ und „Throne“ wendet sich Koffee zum ersten Mal direkt an ihr Publikum und redet über Probleme mit dem Jungsein und über die Ungewissheit der Zukunft.

Der Satz „I have to make it“, Refrain ihres nächsten Tracks, hallt seit Jahren in einer endlosen Schleife durch ihren Kopf, erzählt sie. Passend zu diesem Leitsatz folgt darauf der Song „Under Pressure“ über den Leistungsdruck von außen und aus sich selbst heraus, bei dem sie ihren Gitarristen ein langes Solo spielen lässt. Mit „Rapture“ verliert sich diese Ernsthaftigkeit wieder, und Koffees Fans kehren zurück zu ihrer Ausgelassenheit, die bei „Toast“, ihrem bis jetzt erfolgreichsten Track, zum Schluss des Konzerts ihren Höhepunkt findet.

Das Besondere an diesem Sonntagabend im Yaam ist Koffees Natürlichkeit, mit der sie den ganzen Raum für sich einnimmt, und die so wirkt, als wäre Koffee zufällig vom Himmel gefallen und hätte aus dem Augenblick heraus angefangen, Musik zu machen.

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