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Archiv-Artikel

Jeden Cent zweimal umdrehen

Eine Frau wartet seit sechs Wochen auf Arbeitslosengeld II. Ihr Fortsetzungsantrag wurde einfach nicht bearbeitet. Kein Einzelfall, sagt der Arbeitslosenverband

Langsam nippt Susanne K. an ihrem Wasser. Sehr langsam. „Wer sparen muss, kostet alles aus“, sagt die allein erziehende Mutter. Ans Sparen ist Susanne K. gewöhnt. Seit 1994 bezieht die Charlottenburgerin Sozialhilfe, seit Januar dieses Jahres Arbeitslosengeld II. Doch seit sechs Wochen wartet sie vergeblich auf das Geld von der Arbeitsagentur. „Das ist unerhört. Wovon soll ich denn leben?“, fragt die 47-Jährige verzweifelt.

Susanne K. hat den Fortsetzungsantrag für das Arbeitslosengeld II fristgerecht gestellt, ab 1. Juli sollte sie ihr Geld bekommen. Doch die Zeit verstrich und das Konto blieb leer. Sie fragt zweimal beim Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf nach und erfährt von Sachbearbeitern, dass ihr Antrag noch gar nicht bearbeitet sei und dass dort momentan „totales Chaos“ herrsche. Susanne K. wendet sich an das Bezirksamt und schildert einer Mitarbeiterin der Bezirksstadträtin für Soziales, Martina Schmiedhofer (Grüne), ihren Fall. Die verspricht, sich zu kümmern. Tatsächlich erhält Susanne K. am 10. August einen Anruf des Jobcenters: In drei bis fünf Tagen habe sie ihr Geld. Bis gestern war es allerdings noch nicht angekommen. „Der erste Gang morgens führt mich zum Bankautomaten“, berichtet Susanne K., „es ist beschämend, dass ich ständig ans Geld denken muss. Doch die Fixkosten stehen ja weiter an. Außerdem hat die Schule wieder angefangen. Irgendwie muss ich doch die Bücher und Hefte meiner Tochter bezahlen.“

Der Arbeitslosenverband Berlin kennt dieses Problem. Die Vorsitzende Marion Drögsler sagt: „Viele Empfänger warten noch auf ihr Geld, da gerade der Wechsel zum 1. Juli zu Problemen geführt hat. Die Computerprogramme brechen zusammen, das Personal reicht nicht aus.“ Das für Susanne K. zuständige Jobcenter Charlottenberg-Wilmersdorf jedoch widerspricht: „Solche Wartezeiten gibt es in der Regel nicht. Das ist ein Einzelfall“, sagt der Geschäftsführer Fritz Brandes. Seine Stellvertreterin, Sabine Lachmann-Brauer, räumt aber „technische Schwierigkeiten“ ein. Es gäbe zudem „eine enorme Anzahl von Fortsetzungsanträgen“.

Auch Martina Schmiedhofer sagt, dass Susanne K. „leider kein Einzelfall“ ist. Das Jobcenter müsse 25 Prozent mehr Fälle betreuen als erwartet. „Das Personal ist überfordert“, so Schmiedhofer. Noch in dieser Woche sollen beim Jobcenter die Sprechzeiten reduziert werden, um ausstehende Fälle abzuarbeiten.

Auch wenn Susanne K. ihr Geld bald bekommen wird – der Ärger geht weiter. Gestern bekam sie Post von der Krankenkasse. Die sieht ihren Versicherungsstatus als gefährdet an, weil sie von der Arbeitsagentur noch keinen Fortsetzungsbescheid erhalten hat. Sie wird auch da nachhaken. „Aber so etwas frustriert ganz schön“, sagt Susanne K. ALEXANDRA MÜLLER