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Suche nach einem Phantom

Die Sonderausstellung „Bilderrätsel“ im Bachhaus Eisenach. Porträts des Musikgenies sind wenn nicht gleich verschollen, dann übermalt oder falsch restauriert

„Ich hege keinen Zweifel, dass es tatsächlich ein Bildnis von Bach ist“, meinte 1928 der Rekonstrukteur von Bachs Gesicht und Schöpfer des Leipziger Bach-Denkmals Carl Seffner. Das Bild zeigt aber den Uhrmacher John Harrison Foto: André Nestler / Bachhaus Eisenach

Von Ronald Berg

„Wir zeigen in einem Haus, wo Bach nicht war, Bilder, die Bach nicht zeigen“, sagt Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses in Eisenach, über seine neue Sonderausstellung. Das ist natürlich etwas überspitzt. Aber: Ist damit jenes „Bilderrätsel“ gemeint, das der Schau den Titel gab? Im Grunde könnte die Ausstellung auch „Auf der Suche nach einem Phantom“ heißen oder „Wo steckt der authentische Bach?“. Denn es geht aktuell in dem früher fälschlicherweise als Geburtshaus Johann Sebastian Bachs angesehenen, fast 600 Jahre alten Fachwerkhaus um das Aussehen des musikalischen Genies und um jene Bildwerke, bei denen in Frage steht, ob sie tatsächlich Bach abbilden.

Rund ein Dutzend Bildwerke sind also das Thema – behandelt, ergänzt und begleitet allerdings teils von Kopien oder Reproduktionen. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, denn manche der vermeintlichen Bach-Porträts sind im Original verschollen, wurden übermalt oder mussten sich im Laufe der Jahrhunderte zweifelhafte Restaurierungen gefallen lassen. Das gilt insbesondere für das Gemälde des Malers Elias Gottlob Haußmann von 1746, für das Bach zweifelsfrei selbst Modell gesessen hat.

Das berühmte Bild ist heute im Alten Rathaus in Leipzig ausgestellt und zeigt den Thomaskantor mit einem Notenblatt in der rechten Hand. Dieser „Haußmann No. 1“ präsentiert Bach allerdings in erster Linie als Vertreter eines Standes, in formeller Kleidung, mit ernster Miene und weiß gepuderter Perücke. In der Eisenacher Schau erfährt man einiges über das Leipziger Bild, da Hansens mit viel Text und Dokumentationsmaterial ausgestattete Ausstellung weniger dem Kunstgenuss frönt, als dass sie Geschichten erzählt.

Der Rätsel sind zunächst viele. Elias Gottlob Haußmann scheint bei seinem Bach-Porträt leider mehr einem Schematismus entsprochen zu haben, als dass er Individualität oder Charakter zum Ausdruck bringen wollte. „Manche meinen daher, dass das Bild ‚am allerwenigsten den wahren Gesichtsausdruck Bachs wiedergibt’“, wie in Eisenach über die Rezeption des Bildes berichtet wird. Ein Bach-Biograf des 19. Jahrhunderts entdeckte sogar „einen Zug von strengem, ja finsterem Wesen“ bei dem Abgebildeten.

Wie das Bild zur Entstehungszeit um 1746 tatsächlich aussah, ist heute wegen der Alterungserscheinungen und der Restaurierungen nicht mehr nachzuvollziehen. Als das Bild im 19. Jahrhundert in der Leipziger Thomasschule hing, habe es „den Wurfgeschossen der muthwilligen Jugend als Zielscheibe gedient“, wird berichtet. Die in Eisenach ausgestellten Kopien des Haußmann-Bildes aus älteren Zeiten zeigen daher vielleicht einen authentischeren Bach als das überlieferte Original.

Neben Haußmanns Bild gibt es nun aber noch etliche andere Bach-Bilder, von denen manche Plattencover, Bücher oder die im Bachhaus angebotenen „Bach-Bussis“ aus Nougat-Marzipan schmücken. Die teils abenteuerlichen bis kriminalistischen Geschichten hinter diesen vermeintlichen Bach-Porträts sind den Bildern selbst nicht anzusehen, werden aber in Eisenach auf großen und ziemlich hässlichen Texttafeln erzählt. So geistert, seit sie 1908 erstmals auf einer Auktion auftauchte, eine unter anderem heute für Schokoladenerzeugnisse benutzte Bach-Silhouette durch die Welt. Der Verbleib der Silhouette nach der damaligen Versteigerung ist ungeklärt. 1921 und 1935 tauchten aber getuschte Versionen davon auf Glas auf. Anhand der Signatur konnte festgestellt werden, dass diese Arbeiten aus der Fälscherwerkstatt eines Reinhold Hanisch stammen, der zusammen mit Adolf Hitler im Wien der Jahre 1910–12 solche Silhouetten herstellte und vertrieb.

Auch bei den anderen Bach-Porträts der Ausstellung lösen sich die Rätsel meistens auf. So entpuppte sich das 1928 vom dänischen Komponisten Niels Otto erworbene Gemälde eines etwas beleibten Mannes mit hängendem rechtem Augenlid, fliehender Stirn und hervorspringendem Kinn als Porträt von John Harrison „Inventor of the Chronometer“, wie man auf der Rückseite nach Abnahme einer irgendwann auf die Rückseite aufgeklebten Leinwand lesen konnte. Der Däne hatte gleich nach Erwerb das vermeintliche Bach-Bildnis nach Leipzig geschafft, wo Carl Ludwig Seffner, der Schöpfer des 1908 vor der Thomaskirche enthüllten Bach-Denkmals, bekundete, er hege keinen Zweifel, dass es sich bei dem Abgebildeten wirklich um Bach handle. „Ich bedauere nur, dass ich dieses Bild nicht zur Verfügung hatte, als ich meine Bach-Statue machte.“ Den heutigen Zeitgenossen ist durch diesen Umstand also einiges erspart geblieben.

Rund ein Dutzend Bildwerke sind also das Thema – ergänzt und begleitet von Kopien oder Reproduktionen

Seffners heroisierendes Denkmal stützt sich allerdings auch auf eine nicht gerade zweifelsfreie Vorlage. Es sind Gebeine, die 1894 in Leipzig ausgegraben und als die von Bach angesehen wurden. In Eisenach gibt es jetzt nicht nur ein Modell des Seffner’schen Bach-Denkmals, sondern auch den Schädel Bachs (als Abguss) zu sehen. Dessen „Echtheit“ steht allerdings bislang infrage.

Im Unterschied zu sogenannten Experten, die diverse neu aufgetauchte Bach-Bildnisse immer wieder mal wegen der Ähnlichkeit mit Haußmann No. 1 oder den Schädelknochen für echt bzw. authentisch befunden haben, liefert die Wissenschaft heute definitive Beweise. So konnte anhand der nicht in die Bach-Zeit passenden Malmaterialien inzwischen eines von vier existierenden Bach-Pastellen als Erfindung entlarvt werden. Auch von dieses Rätsels Lösung wird in Eisenach berichtet.

Es ist ohnehin die Frage, ob nicht die vielen Bild-Erfindungen zu Bach und seinem Leben von inspirierten Künstlern wie etwa Bernhard Heisig, dessen Bilder in der ständigen Ausstellung des Eisenacher Bachhauses ausgestellt sind, die Person, ja vielleicht sogar die Musik des Komponisten besser anschaulich machen als ein Bach-Porträt nach dem ­Leben, das es – bislang – eben nur einmal gibt.

Bis 10. 11. Bachhaus Eisenach

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