: Mo Yan ist schon ziemlich genial
Jahrgang 1967, ist freier Autor und lebt in Peking. Er schreibt für die chinesische Ausgabe des Magazins Sports Illustrated. Bis 2006 war er Feuilletonchef der Neuen Pekinger Zeitung.
VON WANG XIAOSHAN
Viele Deutsche kennen China durch Zhang Yimous Film „Rotes Kornfeld“. Die Vorlage dafür lieferte eine Erzählung von Mo Yan, er ist einer der wichtigsten Gegenwartsschriftsteller Chinas. Der Film entfachte damals eine heftige Debatte: Dem Regisseur wurde vorgeworfen, er habe sich durch die einseitige Beschreibung der Armut und Rückständigkeit Chinas bei westlichen Zuschauern einschmeicheln wollen. Der Film bekam 1988 den Goldenen Bären der Berlinale. Heute ist diese Kritik kein Thema mehr: Zhang Yimou ist ein Regisseur des chinesischen Establishments geworden, er beschönigt die Verhältnisse. Seine Position ist vergleichbar mit der Leni Riefenstahls. Dennoch ist es ihm wunderbar gelungen, aus der kleinen Erzählung eines Autors Inspiration zu schöpfen. Seinen ersten Erfolg verdankt er also nicht dem Ausland, sondern Mo Yan.
Auf der Buchmesse begegnet man zwei grundverschiedenen Gruppen chinesischer Autoren: Vertretern der offiziellen Delegation, zu der auch Mo Yan gehört, sowie Exilschriftstellern wie Ma Jian und Yang Lian. Sie stehen in einem Verhältnis zueinander wie Alpen und Himalaja: Beides sind hohe Gebirge, allerdings wird man von den Bergspitzen des einen nie Gelegenheit haben, die Kämme des anderen zu erblicken. Insbesondere die Offiziellen werden alles tun, um den Exilanten aus dem Weg zu gehen.
Schriftsteller wie Mo Yan lieben einzig die Literatur, alles andere kümmert sie wenig, oder sie äußern sich nicht zu Themen wie Meinungsfreiheit. Nolens volens verhalten sie sich so, denn schließlich steckt nicht jeder Belästigungen durch die Polizei oder ein Leben im Gefängnis einfach so weg. Dennoch verhält es sich mit Mo Yan, obwohl gezwungenermaßen Mitglied der offiziellen Delegation und damit Teil der Staatsmacht, gänzlich anders als mit Zhang Yimou: Er hält zu beiden Polen den gleichen Abstand, quasi eine Äquidistanz.
Wer China kennenlernen möchte, dem schlage ich vor: Es kann nichts schaden, mit Mo Yans Werken zu beginnen. Er ist sehr, aber nicht extrem genial und eigentlich ziemlich moderat. Liest man nur Wang Zhaoshan, Mitglied der offiziellen Delegation und ein Präzedenzfall des Speichelleckertums, gewinnt man den Eindruck, in China herrsche eitel Sonnenschein und Harmonie. Nimmt man lediglich die Stimme der Opponenten zur Kenntnis, könnte man meinen, China liege in tiefster Finsternis. China hat Fortschritte gemacht, auch wenn dort sehr viele Schriftsteller einschließlich meines verehrten Lehrers, dem bekannten Dissidenten Liu Xiaobo im Gefängnis sitzen oder andere wie ich, die überhaupt nicht extremistisch sind, von der Polizei belästigt werden. Noch vor zehn Jahren wären solche Leute unmittelbar von der Höchststrafe bedroht gewesen. Allerdings ist China trotz dieser Fortschritte von der Verwirklichung universeller Werte wie Meinungsfreiheit, Demokratie – und Mo Yan hat sie in seiner Rede aufgezählt! – noch weit entfernt.
Aus dem Chinesischen von Petra Mann