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Lernort Kunst

Arbeit am Archiv: Die neue Gesellschaft für bildende Kunst durchforstet ihre 50-jährige Geschichte. Welche Strategien sind für die Gegenwart wieder brauchbar?, wird gefragt

Von Katrin Bettina Müller

Freundschaft zum Beispiel. Ohne sie würde die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK), die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert, es vermutlich nicht so lange geschafft haben. Sie ist ein wichtiges Element der basisdemokratischen Struktur, die vorsieht, dass jede Ausstellung von einer Arbeitsgruppe vorgeschlagen und entwickelt wird. Oft verbindet deren Mitglieder mehr als der Interessenzusammenhang.

Dokument einer Künstlerfreundschaft, die in der nGbK entstand, ist in der aktuellen Ausstellung an der Oranienstraße mit dem spröden Titel „Arbeitsgruppe Kunst. 50 Jahre neue Gesellschaft“ die Koope­ration von Aykan Safoğlu und Nihad Nino Pušija. Pušija, der als Fotograf auch für die taz ge­arbeitet hat, ist bekannt für seine Bilder vom Leben der Rom, aus Asylunterkünften und der ­queeren Szene in Kreuzberg. Zudem dokumentiert er die Ausstellungen in der nGbK und lernte dort 2014 Aykan Safoğlu kennen.

In einer filmischen Installation von Safoğlu kratzen nun helle Linien durch eine dunkle Fläche, oft in simultanen Bewegungen, als würden Flügel schlagen, würde Luft gefächelt. Langsam wird durch die hellen Linien etwas sichtbar, Gesichter, Figuren, Hände. Das sind Elemente von Nino Pušijas Fotografien, die Safoğlu eigentlich einer zerstörerischen Aktion unterzogen hat, er zerkratzt ihre Oberflächen. Aber in der filmischen Installation kehrt sich der Vorgang um, aus den Kratzern entsteht langsam erst das Bild und ist dabei zugleich emotional aufgeladen. Sichtbar werden und verschwinden, jedes Bild erzählt auch die Geschichte eines Verlustes. Zwischen Erinnern und Vergessen nimmt das Bild einen flackernden Status an.

Wie erinnert man an die Geschichte eines Kunstvereins, von dessen 950 Mitgliedern die meisten jünger sind als der Verein? Was wird aus dem Archiv geholt? Alle Ausstellungen in diesem Jahr knüpfen an Programmatiken an, die in der Gründungszeit entwickelt wurden, es ist eine Reaktivierung des Bemühens um politische Wachheit in der Kunst. Die „Arbeitsgruppe Kunst. 50 Jahre neue Gesellschaft“ hat sich mit dem Archiv befasst. Nicht eine Chronologie oder Nacherzählung war ihre Intention, sondern Strategien der kuratorischen Arbeit vorzustellen, die weiter zu nutzen ihnen für die Gegenwart wichtig erscheint. So gibt es dokumentarische Tafeln und Beiträge von Künstlern zu den vier Feldern Solidarisieren, Forschen, Arbeiten, Begehren, zu denen jeweils auch ein Symposium stattfindet.

1970 Funktionen Bildender Kunst in unserer Gesellschaft; 1975 Beitrag der bildenden Kunst zum Thema Krieg und Frieden; 1983 Das andere Amerika; 1984 Afrika, 100 Jahre Einmischung: was an Ausstellungsplakaten, Ansichten, Katalog­covern, Projektanträgen, Kritiken unter dem kuratorischen Prinzip „forschen“ angerissen wird, zeigt sich nah an marxistischen und linken Theorien, am Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus. Die Tafel „solidarisieren“ spiegelt die Suche nach Bündnissen mit linken Befreiungsbewegungen wieder.

Ein Video zeigt einen kurzen Beitrag des damaligen SFB (Sender Freies Berlin) von der Nacht der Gründung. Man erkennt in den Bildern aus der Vollversammlung, die am 15. Juli 1969 bis Mitternacht dauerte, den Politiker Otto Schily wieder, den späteren Kunsthallenleiter Dieter Ruckhaberle, Krista Tebbe, langjährige Leiterin des Kunstamts Kreuzberg, den Kurator Christos Joachimides. Schwer werde es dieser Verein haben, in dem nicht der Vorstand die Macht hat, sondern die Arbeitsgruppen, diagnostiziert der Kommentator.

Benita Piechaczek, die heute die Öffentlichkeitsarbeit für die nGbK macht, hat sich die Karteikarten der Gründungsmitglieder vorgenommen; damals waren die Hälfte Frauen. Viele der heute 950 Mitglieder sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, 50 bis 60 von ihnen gestalten jährlich aktiv das Programm. 554 Projekte wurden umgesetzt.

Arbeitsgruppe Kunst

„Arbeitsgruppe Kunst“, die Ausstellung in der nGbK, Oranienstr. 25 in Kreuzberg, ist tägl. 12–18 Uhr, Fr. bis 20 Uhr geöffnet. Bis 4. August.

Lernorte heißen die vier Symposien, die zur Auseinandersetzung mit Methoden und Ehtiken der Praxis der Arbeitsgruppen einladen, über den Ausstellungsräumen.

Lernort Solidarisieren, 23. Juni, 14–20 Uhr

Lernort Forschen,6. Juli, 14–20 Uhr

Lernort Arbeiten, 20. Juli, 14–19 Uhr

Lernort Begehren, 3. August, 12–19 Uhr

Feministischer Eros

Vieles von dem, was ich zuerst in der nGbK kennengelernt habe, wie britische und japanische ­Fotografie in den neunziger Jahren, taucht in der Ausstellung zwar nicht auf, anderes aber schon. Ein Standardwerk über jahrzehntelang vergessene Künst­lerinnen, deren Werke in Museumsdepots verschwunden waren, ist noch immer derKatalog „Das Verborgene Museum“ zu einer großen Ausstellung der nGbK 1987. Das Cover findet sich unter dem Stichwort „begehren“ wieder, neben Verweisen auf Ausstellungen zu Vally Export 1997, Dorothy Iannone 1997, feministischen Plakataktionen von Barbara Kruger im Stadtraum 1991.

Zu diesem Kapitel „begehren“, das auch den Aidsaktivisten und der queeren Szene gilt, gehört eine große Installation von Özlem Altin, „Shape“. Sie hat aus dem Vereinsarchiv Fotografien und Dokumente ausgewählt, von einer Retrospektive für die amerikanische Künstlerin Hannah Wilke und der Ausstellung „Perlen für die Säue“, das Material reproduziert, übermalt, auf zarte, im Wind eines Ventilators wehende Stoffe gedruckt. Es geht um Intimität, Sexualität und Körper, die in Ausschnitten verletzlich unter einer rosa Übermalung sichtbar werden. Ästhetisch eine leichte und liebevolle Arbeit, die zwar auf ein großes Feld dessen verweist, was oft in der nGbK stark gemacht wurde, aber inhaltlich doch vage bleibt, ein freundlicher Gruß an KollegInnen.

Dass die Ausstellung als Produkt nicht unbedingt das Wichtigste für eine Arbeitsgruppe in der Gegenwart der nGbK ist, vermittelt sich in dieser Selbstdarstellung in ihrem Jubiläumsjahr auch. Die Sinnlichkeit der Kunst tritt hinter ein breites Veranstaltungsprogramm zurück, ihr Eigensinn hinter den Diskurs, ihre Emotionalität hinter die Kommunikation. Dabei begeisterten in der Vergangenheit viele Ausstellungen, in denen die ästhetische Stärke der Werke den Betrachtenden selbst auf die relevanten Inhalte brachte.

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