Jan-Paul Koopmann Popmusik und Eigensinn: Wer braucht schon Wurzeln?
Ohne Nordamerikas Distributionsmacht gäbe es diesen globalen Pop nicht, von dem hier ständig die Rede ist. Das ist so klar wie ethnisch durchsortierte Volksmusiken furchtbar sind – Kulturimperialismus hin, Kapitalverhältnis her. Es wäre nur eben auch Quatsch, an der Stelle einen Strich unter die poplinke Geschichtsschreibung zu machen und Haltung anzunehmen. Vielleicht haben Sie Glück und mit solchen Leuten nichts zu tun, aber es gibt sie: Linke Menschen, die bei Weltmusik routiniert an die Decke gehen und antinationale Ausraster bekommen, wenn Künstler*innen die Tradition ihrer kulturellen Herkunft herausarbeiten und betonen.
Und bevor wir gleich wieder über Antiimperialismus in der Folkszene sprechen (den es ja gibt) oder im Lesekreis (den es nicht gibt) die Melodie & Rhythmus (die es schon noch gibt) durchackern, würde ich gern noch kurz darauf hinweisen, dass am Samstag ab Mittag ein „Festival der Kulturen“ im Focke-Museum stattfindet, auf dem neben tausend anderen interessanten Sachen auch eine ganz wunderbare Musik zu hören sein wird.
Bevor am Abend Tiliboo Afrobeat spielen, wird der Berliner DJ und Produzent Tobi Kirsch seine Anfang des Jahres erschienene Compilation „Two Tribes – An intercontinental journey in rhythm“ (Agogo Records) vorstellen. Die führt in zwölf Tracks aufs Bezauberndste vor, wie afrikanische Musiktraditionen auf europäische treffen und dann aufgehen in dem, was man eben Popmusik nennt. Rhythmische Musik ist das, ohne Ethnoklischees, die eine extrem dichte Atmosphäre schafft und gerade so aufregend ist, weil sie nicht nach Schema abläuft – und stets unklar bleibt, was als nächstes passiert.
Eine der bekanntesten Bands auf der Platte sind Johannes Schleiermachers Onom Agemo and the Disco Jumpers: ein kompositorisches Rechercheprojekt, das auf Reisen nach etwa Marokko oder Guinea entstanden ist. Ganz bewusst haben Tobi Kirsch und Ubbo Gronewold Künstler*innen zusammengebracht, die sich irgendwo zwischen hier und dort neu verortet haben. Die Musik ist irgendwie Jazz, irgendwie Pop, irgendwie Klub, irgendwie Weltmusik – und erinnert nebenher daran, dass es genauso immer schon war, dass zu der eingangs erwähnten Distributionsmacht eben auch eine Produktion gehört, an der (schwülstig, aber wahr) die ganze Welt ihren Anteil hatte.
Sa, 22. 6., 19.30 Uhr, auf dem „Festival der Kulturen“ im Focke-Museum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen