: Faule Moleküle
Wasser ist nicht kristallin, Eis aber schon. Wie kommt das? Die wichtigsten Fakten über Kristalle – für alle, die im Chemieunterricht geschlafen haben
Von Hannah Bernstein
Was ist ein Kristall?
Ein Kristall ist ein Festkörper, dessen Bausteine auf eine bestimmte Art angeordnet sind. Atome, Ionen oder Moleküle bilden eine Kristallstruktur. Dieser Zustand ist für die Bausteine besonders erstrebenswert, da er ihnen Stabilität gibt und sie gewissermaßen „faul“ sein dürfen.
Und wie sieht so eine Kristallstruktur konkret aus?
Der kleinste Ausschnitt dieser Struktur ist die sogenannte Elementarzelle. Sie enthält alle Informationen, die zum Beschreiben des Kristalls notwendig sind. Wenn man sich beispielsweise einen Würfel vorstellt, wäre die Elementarzelle einer der Eckpunkte. Und die drei Kanten, die dort zusammentreffen, sind ihre Basisvektoren. Jetzt stellt man sich vor, dass dieses Motiv multipliziert und in alle drei Richtungen der Basisvektoren verschoben wird, und von dort immer weiter. Am Ende entsteht ein symmetrisches Kristallgitter.
Welche Bedingungen brauchen Kristalle, um zu entstehen?
Kristalle entwickeln sich durch Druck, Temperatur, Zeit und im Zusammenspiel bestimmter Elemente. Sie können aus festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen entstehen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Kristallisation. Wasser als Reinstoff ist zum Beispiel noch kein Kristall, erst durch langsames Gefrieren wird es zu einem. Diamanten, die aus Kohlenstoff entstehen, entwickeln sich tief in der Erdkruste unter hohem Druck über viele Jahre. Etwa 75 Prozent der natürlichen Diamanten stammen aus Afrika, besonders Südafrika. Ihr Erlös dient jedoch auch zur Finanzierung von Gewalt, Waffenkäufen und Kriegen. Deshalb werden sie manchmal als „Blutdiamanten“ oder „Konfliktdiamanten“ bezeichnet. Diamanten lassen sich auch industriell erzeugen und werden in der Regel für die Werkzeugherstellung eingesetzt. Um natürliche und synthetische Diamanten voneinander zu unterscheiden, sind meist aufwendige Analysen nötig.
Was ist denn der Unterschied zwischen natürlichen und synthetischen Kristallen?
Wenn Kristalle ohne menschliches Zutun entstehen, gehören sie zu den Mineralen. Deshalb ist die Wissenschaft von den Kristallen, die Kristallographie, historisch gesehen auch ein Teilgebiet der Mineralogie. Heutzutage werden Kristalle allerdings hauptsächlich industriell hergestellt, um zum Beispiel Mikrochips zu bauen. Dann bestehen sie etwa aus Metallen, die besonders gut elektrischen Strom leiten. Künstlich erzeugte Kristalle können sowohl anorganisch (z. B. synthetische Rubine) als auch organisch (z. B. Kandiszucker) sein. Natürliche Kristalle hingegen sind im Allgemeinen anorganisch.
Ähm, was bedeutet organisch und anorganisch noch gleich?
Organische Stoffe basieren auf Kohlenstoff, anorganische Stoffe sind kohlenstofffreie Verbindungen. In beiden Fällen gibt es allerdings Ausnahmen: Diamant und Graphit etwa sind anorganisch, obwohl sie aus reinem Kohlenstoff bestehen.
Kann man Kristalle auch selbst züchten?
Ja. Gut gelingt das zum Beispiel mit Kupfersulfat, das in Wasser gelöst eine schöne blaue Farbe zeigt. In ein kleines Glas mit Wasser wird so viel Kupfersulfat gegeben, bis sich nichts mehr löst (erkennbar durch einen Bodensatz). Diese Lösung wird nun durch einen Filter in ein anderes, sauberes Glas geschüttet. Als sogenannter Impfkristall kann ein kleiner Kristall in die Lösung gelegt werden. Steht das Glas offen, verdunstet im Laufe der Zeit Wasser und überschüssiges Kupfersulfat lagert sich an dem vorhandenen Kristall an.
Und wenn man gerade kein Kupfersulfat zur Hand hat?
Dann kann man auch einfach Kochsalzkristalle züchten. Hierfür löst man drei Esslöffel Salz in einem Glas mit warmem Wasser und schüttet es in einen tiefen Teller. Nach ein paar Tagen verdunstet das Wasser, dadurch steigt der Salzgehalt der Lösung. Es bilden sich die ersten Kristalle am Tellerrand. Die Schnelligkeit der Kristallisation wird von der Temperatur und der Sättigung beeinflusst. Je höher die Raumtemperatur ist, desto schneller verdunstet das Wasser.
Wer hat das Wort „Kristall“ eigentlich erfunden?
Die alten Griechen. Sie betrieben bereits in der Antike Bergbau und entdeckten dabei irgendwann Kristalle, vermutlich aus Quarz. Reiner Quarz ist farblos und transparent und wird auch als Bergkristall bezeichnet, wenn er gut ausgebildete Kristalle entwickelt. Bis ins frühe Mittelalter war die Ansicht verbreitet, dass es sich bei diesen Fundstücken um Eis handele, welches bei so tiefen Temperaturen entstanden sein musste, dass es nicht mehr schmelzen konnte. Und Eis heißt auf griechisch „krýstallos“ – also „Kristall“.
Was ist mit Kristallglas, sind da Kristalle drin?
Im Vergleich zu Kalk-Natron-Glas, der am meisten verbreiteten Glassorte, ruft Kristallglas durch seinen Schliff eine besondere Lichtbrechung und Farbeffekte hervor, die an Kristalle erinnern. Der Name beruht jedoch ausschließlich auf der optischen Wirkung, Kristallglas ist nicht im physikalischen Sinne kristallin, da Glas keine gleichmäßige Struktur hat, sondern aus einer amorphen Masse besteht, in der die Elemente nicht geordnet sind. Meistens passiert das durch schnelles Abkühlen.
Und das Kristallweizen?
Wer bei diesem Bier auf der Suche nach Kristallen ist, muss leider enttäuscht werden. Seinen Namen trägt es lediglich, da die Brauhefe am Ende des Brauprozesses herausgefiltert wird. Deshalb hat es nicht die weißbiertypische Hefetrübung, sondern ist „kristallklar“.
Haben Kristalle wenigstens magische Kräfte?
In spirituellen und esoterischen Kreisen wird Kristallen gerne nachgesagt, sie seien Träger energetischer Schwingungen. Tatsächlich geben sie nur bei ihrer Entstehung, nämlich beim Übergang vom flüssigen zum festen Zustand, Energie ab – in Form von Wärme. Das kennt man von Wärmepads, in denen durch Knicken eines kleinen Metallplättchens ein Kristallisationsvorgang aus einer übersättigten Salzlösung ausgelöst wird.
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