: Noch nie gehörte Liebeserklärungen
BERLIN FESTIVAL Am Ende eines langen Festivaltages spielte die britische Band Metronomy in der Arena. Der Frau am Schlagzeug, Anna Prior, huldigten die Bandmitglieder mit engelsgleichem Falsettgesang
VON RONALD DÜKER
Die auf die halbe Stadt verteilten Plakate des Berlin Festivals erinnern an einen Sehtest, bei dem die Schrift nach unten hin immer kleiner wird. Deshalb können auch Kurzsichtige erkennen, dass The Killers, Paul Kalkbrenner, Franz Ferdinand, The Bonapartes und Tocotronic dort aufgetreten sind. Die britische Band Metronomy aber ist ein Fall für Adleraugen, sie findet sich erst im Kleingedruckten. Zu Unrecht!
Diese Gruppe aus der südenglischen Provinz hat bislang drei Platten veröffentlicht, von denen die ersten beiden, in irgendeiner Garage aufgenommen, noch etwas rumpelig klangen, also ganz anders als das dritte Album „The English Riviera“. Dieses war die popmusikalische Sensation des letztjährigen Sommers, und es wird ein Rätsel der Musikgeschichte bleiben, warum die darauf enthaltenen Stücke „The Look“ oder „The Bay“ nur mittlere Hitlisten-Platzierungen erreichten. Metronomy spielen nämlich einen lupenreinen und beglückenden Pop, der wie ein perfekter Hollywood-Film aus unzähligen Schichten besteht, von der nur die an der alleräußersten Oberfläche gelegene absolut eingängig ist.
Von einem langen und verregneten Tag auf dem Tempelhofer Flughafengelände sichtlich erledigt, trudelten Freitagnacht auch die Besucher des Berlin Festivals in der an der Spree gelegenen Arena ein, wo pünktlich um halb eins das Metronomy-Konzert begann. Ein nicht rundum gelungener Abend – die riesige Halle war vielleicht zu einem Drittel gefüllt, und der allzu geräumige Hallraum ist Gift für derart präzise musizierende Bands wie Metronomy. Auch zeigte sich das generelle Problem solcher Festivals: Die hier Versammelten hatten hundert Euro für das zwei Tage gültige Kombi-Ticket bezahlt, welches allein zu dem Besuch des nächtlichen „Club X-Berg“ legitimierte und nun durch möglichst langes Feiern noch abgearbeitet werden musste.
Wer sich eher für die Auftritte von The Killers, Franz Ferdinand oder wem auch immer in Schale geworfen hatte, motivierte sich hier für das verbleibende Programm. Auf der Bühne aber eine ganz und gar ausgeschlafene Darbietung. In ihren beigefarbenen Anzughosen und weißen Hemden hätten die drei männlichen Bandmitglieder auch der adretten Tanzteekapelle eines englischen Badeortes angehören können, zum Beispiel Torquai, auf das sich auch der Name ihres letzten Albums bezieht und in dessen Nachbarschaft Joseph Mount, der Sänger, Texter und Komponist der Gruppe, aufgewachsen ist. Drei Männer also an Keyboard, Gitarre und Bass – am Schlagzeug aber eine Frau! In ihrem goldglänzenden Hosenanzug, der prächtig zu ihren roten Haaren passt, spielt Anna Prior in dieser Inszenierung die Muse, und es scheint, als seien ihre Kollegen vor allem dazu bestellt, dem femininen Fluchtpunkt im Bühnenrückraum zu huldigen.
Sie versuchen das im engelgleichen Falsettgesang, verfallen dann, kurzfristig selbstvergessen, in jungenhaft angeberische E-Gitarren-Solos, schrecken aber, wie bei irgendeiner Unanständigkeit erwischt oder weil sie eben wissen, dass Mädchen so etwas nicht so sehr mögen, wieder daraus auf und ordnen sich schuldbewusst dem lässig federnden Rhythmus einer Kirchenorgel unter.
Wer die Ohren spitzt, stellt fest, dass Mounts Songtexte die allerschönste Poesie enthalten. Diese taugt entweder zu so noch nie gehörten Liebeserklärungen („If you’re dreaming deep tonight / I lie with you by reading light“) oder trockenen Verabschiedungen („You may have the money / But you’ve got to go“). Musikalisch ziehen Metronomy, oft in einem einzigen Stück, virtuos die entferntesten popgeschichtlichen Register. Von hysterisch disziplinierten Bee-Gees-Chören gleiten sie, von eleganten Basslines gezogen, hinab in dunkle New-Wave-Gewässer. Wenn der Gitarrist und Melodica-Spieler Oscar Cash aber dann in den Vocoder haucht, öffnet sich die Saaldecke ins Weltall, aus dem die Elektropopper „Air“ einen freundlichen Gruß senden. Kein Wunder eigentlich, dass „The English Riviera“ in Frankreich die meisten Abnehmer gefunden hat; liegt es daran, dass Mount bevorzugt Hemden mit einem kleinen Krokodil drauf trägt? Pünktlich nach einer Stunde verabschiedet sich der Sänger von seinen Zuhörern, die wenigen Raucher unter ihnen hatten zu einem als „romantisch“ annoncierten Stück sogar einmal ihre Feuerzeuge in die Luft gehalten. Wie viele von ihnen werden nun sehnsüchtig die nächste Metronomy-Platte erwarten? Mount wünscht „Frohe Weinachten“, und hätte er doch recht! Dann wäre es schon gar nicht mehr so lange bis zum nächsten Sommer.