piwik no script img

Alle einig auf dem eigenen Weg

Musikalisch mitten auf der Straße mit der Schweinerockgitarre: Fleetwood Mac bei ihrer Abschiedstour in der Waldbühne

Von René Hamann

Chrissie Hynde ist immer noch gut bei Stimme. Sie sieht klein aus da vorne auf der Bühne, und ist wahrscheinlich schon überrascht, hier vor einer Wand aus Leuten in bunten Regenjacken und unter transparenten Plastikumhängen (wie sähe so ein Regenkonzert nach dem Plastikverbot aus?) am Frühabend eines durch und durch verpissten Sommertags die Vorband für Fleetwood Mac machen zu müssen. Immerhin geben sie und ihre Band, die Pretenders, ihr Bestes: Solider Autoradiorock, perfekt gespielt, für immer zeitlos. Sie gaben einige gelungene Coverversionen und ihre Hits, und natürlich gaben sie „Don’t Get Me Wrong“. Die Frage aber war, würden sie „Walking on Sunshine“ geben?

Natürlich nicht. Denn erstens ist das Stück gar nicht von den Pretenders, sondern von Katrina & the Waves, und zweitens wäre das eine Spur zu zynisch für den soliden Ausgeblichene-Jeans-Standard, den Hynde und Band vorne gaben. Aber ja, worauf ich hinaus will, ist: Der Sonnenschein war an diesem Donnerstag flüssiger Natur in der wohl ausverkauften Waldbühne. Mal schüttete es, mal regnete es auf mittlerem Level, mal tröpfelte es. In der Pause vor der Hauptband, Fleetwood Mac, war es tatsächlich mal eine gute Stunde lang fast trocken.

Fleetwood Mac, mittlerweile eher aus den USA als aus Großbritannien, sind auf großer Abschiedstournee; Berlin bildete den Auftakt für Europa. Tatsächlich gibt es die Band schon seit 1967, als Schlagzeuger Mick Fleetwood und Peter Green sie gründeten. In dieser ersten Phase spielten sie Bluesrock mit psychedelischen Einsprengseln. Die Platte dieser Ära war „Then Play on“, meine Eltern hatten sie im Schrank. „Black Magic Woman“, eines der fiesesten Rockstücke aller Zeiten, bekannt in der Version von Santana, diesem aufgeblasenen Gniedelmonster an der Gitarre, stammt ursprünglich ebenfalls von ihnen, und höre da, Fleetwood Mac spielten das Stück. Gesungen wurde es von Christine McVie, was sich natürlich etwas seltsam ausnahm: Eine ältere weiße Frau, die „I’m a black magic woman“ sang. Aus derselben Phase stammt das wesentlich bessere „Oh Well“, auch aus der Feder von Peter Green, Anlass für Mike Campbell, erst seit Kurzem bei der Band, seine Schweinerockgitarre das erste Mal so richtig anzuwerfen.

Ein Fleetwood-Mac-Konzert im Jahr 2019 ist an sich schon erstaunlich. Zum einen hatte die Band drei unterschiedliche Perioden von großer Wirkmacht: Die wie gesagt psychedelische Rockphase in den 60ern; dann der Middle-of-the-Road-Erwachsenenrock aus den 70ern rund um die Überalben „Rumours“ (über 40 Millionen verkaufte Einheiten) und „Tusk“. Und schließlich der erstaunliche Radiopop, den sie auf „Tango in the Night“ von 1987 zeigten mit Hits wie „Little Lies“ und „Everywhere“, auf die sich noch heute Indie-Acts wie Vampire Weekend schwärmend beziehen.

Zum anderen, überlegte ich während der Bluespassagen von „Oh Well“, hörte sich da gerade ein ganzes großes Amphitheater teilweise 50 Jahre alte Musik an. Man stelle sich vor, es hätten sich 1969 irgendwo massenhaft Leute eingefunden, um Musik aus dem Jahr 1919 zu hören! Tatsächlich war das Publikum aber sehr durchmischt, altersbedingt, kulturell, national. Junge spanische Pärchen, Metal-Typen aus dem Umland, ältere Semester, die am nächsten Morgen wieder Schulklassen vorstehen würden, Bäckereifachverkäuferinnen mit Anhang, Musik-Bescheidwisser. Sie alle ließen sich vom Dauerregen nicht die Laune vermiesen. Auch nicht von der eher langgezogen wirkenden Show vorne auf der Bühne.

Der einsame Höhepunkt, und überhaupt der Grund, sich bei dem Sauwetter diese Veranstaltung zu geben, war die Schlussnummer im Hauptset: „You can go your own way“

Denn da ließ sich Mick Fleetwood mal gern eine gute Viertelstunde für lahme Trommelorgien feiern, während man sich überhaupt fragte, wer bei zwei Schlagzeugern eigentlich die Arbeit macht. Neil Finn ersetzte den leider ausgeschiedenen Lindsey Buckingham und durfte seinen Crowded-House-Überhit „Don’t Dream It’s Over“ schmettern. Popnummern wie „Hold Me“ bekamen schöne Videosequenzen, die im Hintergrund liefen; die MoR-Nummern gemütlichten eher ein wenig belanglos vor sich hin. Fleetwood Mac, eine Band kurz vor der Frühpension. Vom Experiment, vom Rock’n’ Roll ist nur die Schweinerockgitarre als Zitat geblieben. Machte aber nichts, es war trotzdem gut.

In der Zugabe wurde dann noch der Toten gedacht. „Free Fallin‘“ von Tom Petty wurde gegeben, die ehemaligen Bandmitglieder Bob Welch und Danny Kirwan weilen ja auch nicht mehr unter uns. Auch Dr. John ist an diesem regnerischen Tag von uns gegangen, was zur Stunde des Auftritts allerdings noch niemand wusste.

Ansonsten wurde den Menschen aus vollen Händen gegeben, was sie wollten: Stevie Nicks sang „Dreams“, in der Zugabe hieß es natürlich „Don’t Stop“, nämlich „thinking about tomorrow“, weil ja „yesterday’s gone“. Der einsame Höhepunkt, und überhaupt der Grund, sich bei dem Sauwetter diese Veranstaltung zu geben, war die Schlussnummer im Hauptset: „You can go your own way“. Den sind dann nach dem Konzert auch alle gegangen. Das Kapitel Fleetwood Mac hat ein schönes, sogar anrührendes Ende gefunden. Trotz des Wetters.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen