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Archiv-Artikel

Wulff will Widerstand wegfusionieren

KREISFUSION Der mehrheitlich atomkritische Kreis Lüchow-Dannenberg, Sitz des Atommülllagers Gorleben, ist pleite. Die Landesregierung favorisiert eine Fusion mit dem CDU-dominierten Nachbarkreis Uelzen

Der Widerstand gegen das Atommülllager Gorleben könnte ins Hintertreffen geraten

Dem Landkreis Lüchow-Dannenberg, Sitz des Atommülllagers Gorleben, geht es schlecht: 100 Millionen Euro Schulden hat man dort angehäuft, eine Besserung ist nicht in Sicht. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) drängt auf die Fusion mit einem Nachbarkreis – vorzugsweise dem christdemokratisch dominierten Uelzen. Praktische Nebenwirkung: Nach Vollzug könnte der Widerstand gegen das Atommülllager Gorleben ins Hintertreffen geraten. Im Lüchow-Dannenberger Kreistag haben die atomkritischen Fraktionen die Mehrheit.

Lüchow-Dannenberg komme „alleine nicht mehr zurecht“, sagt auch Landrat Jürgen Schulz (parteilos). Ende Oktober will er dem Kreistag die Fusionsfrage vorlegen. Schulzes Sondierungen haben ergeben, dass auch Lüneburg eine Option wäre. „Aber Uelzen will die Vereinigung unbedingt.“

Dort drängelt vor allem CDU-Kreisfraktionschef Claus-Dieter Reese. Er hat seinen Landrat Theodor Elster (parteilos) aufgefordert, ein Fusionsgutachten anfertigen zu lassen. Seine Argumente: 82 Millionen Verbindlichkeiten, 25 Prozent Einnahmeausfälle im Haushalt 2010, explodierende Sozialkosten. „Wir sind die nächsten Jahre quasi handlungsunfähig,“ unkt Reese. „Damit wäre der Kreistag überflüssig“. Er auch.

Doch der Uelzener Landrat Elster ist skeptisch. Eine Fusion bedeute „weitere Wege, weniger Bürgernähe und ob sie unsere finanziellen Probleme löst, ist fraglich.“ Dass er bereit ist, darüber nachzudenken, liegt an Innenminister Uwe Schünemann: Der hat zugesagt, bei einer Fusion 75 Prozent der Kassenkredite abzunehmen.

Auch der Landkreis Lüchow-Dannenberg könnte dieses Geld gut gebrauchen. Die notorisch strukturschwache Region hätte ohne Zonenrandförderung schon in den 1960er Jahren Bankrott gemacht. Ab 1979 flossen per anno zusätzlich acht Millionen Mark Schmerzensgeld ins Wendland, weil man den Atommüll der Republik schlucken sollte. Beide Geldflüsse sind inzwischen versiegt, in Lüchow-Dannenberg herrscht Verwaltungsnotstand. Ein Wirtschaftsgutachten empfahl der Samtgemeinde Lüchow jüngst, neun neue Vollzeitstellen zu schaffen. „Wovon ?“, fragt Martina Lammers, Sprecherin der Wendland-Grünen.

Dass das versprochene Geld vom Land kommen würde, wenn der Landkreis fusioniert, bezweifelt sie. Die ganze Sache sei ein Vorwand – „um Niedersachsens wilden Osten zu befrieden“.

MICHAEL QUASTHOFF