: „Die SPD ist unverzichtbar für unser Land“
ABSCHIED Heidi Knake-Werner war seit Beginn von Rot-Rot Senatorin. Der Erfolg dieser Koalition habe dazu beigetragen, dass ihre Partei inzwischen bundesweit von der SPD akzeptiert wird, sagt die Linke, die vorige Woche in den Ruhestand ging. Dennoch sei es hart gewesen, als Zuständige für Soziales für die Hartz-IV-Politik der Bundes-SPD verantwortlich gemacht zu werden
■ Geboren ist Heidi Knake-Werner 1943 in Tomaschow, heute Tomaszów Mazowiecki (Polen). Politisch sozialisiert wurde sie in der Bundesrepublik. Aufgewachsen in Wilhelmshaven, studierte sie in Göttingen Sozialwissenschaften und promovierte an der Uni Oldenburg, wo sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. 1970 wurde sie Mitglied der SPD, wechselte 1981 aber zur DKP, der sie bis zum Wendejahr 1989 angehörte. 1990 trat sie in die PDS ein.
■ Anfang 2002 wechselte sie zum Beginn der rot-roten Koalition von der Bundes- in die Landespolitik. Im Senat übernahm Knake-Werner die Ressorts Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, nach der Abgeordnetenhauswahl 2006 war sie für Soziales, Arbeit und Integration zuständig.
■ Ende voriger Woche wurde die vormalige Linkspartei-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, als ihre Nachfolgerin vereidigt.
INTERVIEW STEFAN ALBERTI FOTOS ANJA WEBER
taz: Frau Knake-Werner, haben Sie am Abend der Bundestagswahl nicht gedacht: Das war ein Fehler mit dem Rücktritt?
Nö, überhaupt nicht. Warum sollte ich?
Weil Ihre Partei plötzlich so gut dasteht wie noch nie, auch auf Bundesebene nicht mehr tabu ist und vielleicht bald das große Rad dreht. Da wollen Sie nicht mehr dabei sein?
Ich bin schon ziemlich stolz darauf, dass ich mit die Grundlagen dafür geschaffen habe, dass es jetzt so ist. Ich denke, dass Berlin mit seiner rot-roten Regierungserfahrung wesentlich dazu beigetragen hat. Wenn Sigmar Gabriel als künftiger SPD-Chef jetzt sagt: Wenn es so gut klappt wie in Berlin, kann man nichts gegen Rot-Rot haben – dann ist das auch ein Verdienst unserer gemeinsamen Jahre seit 2002.
Man muss aber kein Fan von Udo Jürgens sein, um zu sagen, dass mit 66 – genau Ihr Alter – noch lang noch nicht Schluss sein muss. Innensenator Ehrhart Körting ist 67, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auch, und der Grüne Christian Ströbele hat gerade mit 70 noch mal seinen Wahlkreis gewonnen.
Udo Jürgens singt doch, glaub ich, dass das Leben mit 66 erst anfängt. Da stellt sich aber die Frage: Was versteht man unter diesem Leben? Dieses Politikerinnenleben, wie ich es in den letzten 15 Jahren geführt habe, im Bundestag und im Senat – ist das alles? Mit durchschnittlich 12- bis 14-Stunden-Tagen, auch wenn die unbestritten viele befriedigende Facetten hatten? Für mich ist es schon eine sehr verlockende Vorstellung, dass ich mit meinem Mann demnächst am Tag nicht mehr nur eine Stunde Zeit zum Reden habe.
Sie legen doch jetzt nicht von einem Tag auf den anderen die Beine hoch.
Ich werde natürlich nach 40 Jahren Politik nicht völlig apolitisch werden und nur noch auf Reisen sein – aber ich kann es mir halt aussuchen, was ich mache. Für mich war entscheidend, selbst den Zeitpunkt zu bestimmen, wann ich gehe. Mich musste man nicht aus dem Amt tragen …
… wie Biedenkopf, Kohl und andere.
Ich wünsche Menschen wie Ströbele nicht, dass ihnen das mal passiert – so abzuschließen fände ich nicht glücklich.
Auch wenn SPD-Mann Gabriel Rot-Rot in Berlin lobt – in Ihrer eigenen Partei bleibt dieser Kurs umstritten, was wegen der SPD-Krise in den Hintergrund gerückt ist. Exfraktionschef Stefan Liebich etwa wurde parteiintern als zu realpolitisch angegangen, vorher verließen prominente Realos die Partei.
Klar, wir hatten am Anfang große Probleme auch innerhalb der Partei, viele Debatten darüber, was die Regierungsbeteiligung bringt. Aber inzwischen hat die Partei verstanden, dass man sich in einer Regierungskoalition nicht immer komplett durchsetzen und doch Politik voranbringen kann.
Die Anwürfe gegen Liebich und andere Realpolitiker stammen aber nicht aus dem Jahr 2002, sondern sind ganz aktuell.
Der Konflikt innerhalb der Partei besteht nach wie vor, unabhängig von Rot-Rot in Berlin. Das sind einfach unterschiedliche Linien. Wie die zusammenkommen, wird sich jetzt in der Bundestagsfraktion erweisen – da sitzen sie zusammen und sind dazu verurteilt, gemeinsam erfolgreiche Bundespolitik in der Opposition zu machen.
Klingt nach offenem Ausgang.
Eines steht immerhin fest: Mit den Projekten unseres rot-roten Senats, insbesondere denen, die die Linke eingebracht hat – ich sage nur mal: öffentlich geförderter Beschäftigungssektor und Gemeinschaftsschule – gewinnt man zurzeit in anderen Bundesländern als Linke Wahlen.
Von der Linkspartei ist immer wieder zu hören, die SPD müsse sich resozialisie- äh, sozi…
… resozialdemokratisieren – ist ja auch ein Zungenbrecher. Ich habe im Bundestagswahlkampf immer Gregor Gysi bewundert, dass er dass so flüssig und ohne Stottern rausbringt.
Also, zu resozialdemokratisieren. Linker soll sie werden, die SPD, sozialer. Da könnte sie ja gleich mit Ihnen fusionieren.
Es gibt schon noch gravierende Unterschiede zwischen den beiden Parteien, und bis zu unserem Wahlprogramm ist es noch ein weiter Weg für die SPD. Ich glaube nicht, dass ein Zusammenschluss in Aussicht steht. Das wäre auch doof.
Wieso?
Weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass zwei Parteien, die sich mehr zur Linken hin entwickeln, diesem Land guttun. Beide kommen dadurch in die Situation, dass sie um die beste Politik konkurrieren. Es geht nicht darum, wer wen schluckt. Das war auch für unsere Koalition wichtig. Wir haben nicht das Problem gehabt, dass wir uns gegenseitig domestizieren wollten.
Sie sind ja quasi eine Vorläuferin all jener, die über die WASG oder direkt von der SPD zur PDS und später Linkspartei kamen. Sie, vorher elf Jahre SPD-Mitglied und Stadträtin in Oldenburg, traten schon 1981 zur DKP über. Warum eigentlich?
Die Situation in der SPD …
… unter Bundeskanzler Helmut Schmidt …
… diese Situation war sehr schwer erträglich geworden. In diese Zeit fiel die Entscheidung für den Nato-Doppelbeschluss und Aufrüstung. Und außerdem war ich wegen Willy Brandt in die SPD eingetreten: „Mehr Demokratie wagen“ war doch seine Botschaft. Die Politik der Berufsverbote lief dem komplett entgegen und war etwas Verheerendes.
Haben Sie noch so viel Bindung an die SPD, dass sie angesichts ihrer aktuellen Lage Mitleid haben?
Nein, Mitleid nicht. Aber ich finde diese Entwicklung schade. Denn ohne die SPD werden wir keine alternative Regierung zu Schwarz-Gelb hinkriegen. Die SPD ist unverzichtbar für unser Land. Deshalb bedaure ich ihren Niedergang sehr, weil ich mir schon wünsche, dass es neben einer starken Linken auch eine starke Sozialdemokratie gibt.
Solange die SPD die Stimmen an Sie abgibt, dürften Sie mit diesem Niedergang doch kein Problem haben.
Das Problem ist aber, dass die SPD mehr Stimmen an Schwarz-Gelb abgegeben hat als an uns und noch mehr ans Lager der Nichtwähler. Das zeigt ja schon, dass sie die Bindung an ihr traditionelles Milieu verloren hat, und die muss sie jetzt zurückgewinnen.
Ihre fast acht Jahre im Senat waren vom Sparkurs geprägt. Bloß: Wenn Ihre SPD-Kollegin Junge-Reyer sparen musste, dann gab es halt ein paar Straßen weniger, wenn Sie sparten, hieß das Sozialabbau.
Stimmt – da traf es Bauten, bei mir Menschen.
Wieso hat Ihre Partei dann gerade nach der Agenda 2010 nie einen Ressorttausch von der SPD gefordert – damit die Partei für Hartz IV zuständig ist, die die Sache auch beschlossen hat?
Das war nie ein Thema. Über einen Ressortwechsel hat es keine Debatte gegeben.
Warum nicht?
Wegducken war für mich bei Hartz IV genauso inakzeptabel wie die vermeintliche Reform selbst. Mein Standpunkt war: Wir tragen die Verantwortung und müssen versuchen, aus der Sache für die Betroffenen das Beste herauszuholen.
Was so klingt wie ein Henker, der über seinen Beruf räsoniert und sagt: Ich mach es ja nicht gerne, aber irgendwer muss es ja tun, und ich köpfe sanfter als die anderen.
Als politisch denkender Mensch glaube ich, dass man sich auch vor den schwierigen Aufgaben nicht drücken kann. Und wenn ich daran denke, wie wir über die Ausführungsvorschrift zum Wohnraum Zwangsumzüge verhindert haben, dann stehe ich für sozialen Ausgleich.
Abmildernde Regelungen hin oder her: Nach außen hin waren Sie die Hartz-IV-Senatorin und haben das auch oft genug um die Ohren gehauen bekommen.
Das läuft doch ohnehin so. Wenn man in der Landesregierung ist, dann ist es den Leuten völlig egal, wer Hartz IV verabschiedet, wer die Praxisgebühr beschlossen hat oder weitere Zuzahlungen im Gesundheitssystem. Das waren Entscheidungen von Rot-Grün im Bund – und ich habe den Ärger über jede einzelne abgekriegt. Weil die Leute nicht auseinanderhalten, wer was beschlossen hat. Sie wenden sich an die, die am ehesten greifbar sind: die Landesregierung. Das werfe ich den Leuten auch gar nicht vor, selbst wenn es ungerecht ist.
Die könnten aber schon mal in die Zeitung schauen oder Radio hören.
Natürlich erwarte ich auch, dass man sich informiert. Aber ich habe Verständnis für die Reaktionen, weil sie in der Regel nicht bösartig waren, sondern ganz emotional, aus einem Widerstand gegen selbst erlebte unsoziale Politik. Dieser Widerstand richtet sich halt nicht gegen die Bundesministerin Ulla Schmidt, sondern die Senatorin Heidi Knake-Werner.
Wenn so ein Bereich wie Hartz IV Ihnen oft die Ohnmacht des Amtes vor Augen geführt hat – in welchem Moment haben Sie die Macht des Amtes verspürt?
Das war bei Vivantes der Fall, dem landeseigenen Klink-Konzern, wo es darum ging, die Privatisierung zu verhindern. Da war ich zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Position. Diese Diskussion hat aus meiner Sicht auch dazu beigetragen, dass sich unser Koalitionspartner verändert hat. Heute sagt die ganze rot-rote Regierung: Wir wollen keine Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Da haben wir die SPD ein Stück weit nach links gedrückt.
Joschka Fischer hat der Fotografin Herlinde Koelbl mal gesagt: Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Wie hat Sie das Amt verändert?
Erst mal ein Satz zu Joschka Fischer. Als ich mich 2002 gerade entschieden hatte, das Amt zu übernehmen, traf ich ihn im Bundestag im Fahrstuhl, und er sagte: „Herzlich willkommen in der Reality.“
Was hat also diese „Reality“ aus Ihnen gemacht?
Ich würde sagen, das Amt hat mich selbstbewusster gemacht, entschiedener und entschlossener, härter vielleicht auch. Und auch ein bisschen dümmer.
Dümmer?
Als Senatorin fassen Sie doch keine Türklinke mehr an, die wird ihnen immer aufgemacht. So ist das mit einer ganzen Reihe von Alltagsdingen, die ich jetzt erst wieder lernen muss, und sei es nur, eine BVG-Fahrkarte zu kaufen.
So betuttelt zu werden, würde anderen ganz gut gefallen.
Das mit der Türklinke steht doch für mehr: Wenn Ihnen immer einer die Tür aufmacht, heißt das auch, dass immer jemand um Sie herum ist. Ich war eigentlich nie allein. Man hat kaum Zeit für sich, man muss immer Souveränität ausstrahlen. Da verändert man sich dann doch, weil man immer aufpasst, nicht zu viel von sich preiszugeben, nicht zu zeigen, was einen verletzt.
Unterm Strich: War’s das wert? Sie haben ja schon nach einem Jahr im Amt gesagt, Ihnen bleibe kein Privatleben.
Aber ich habe auch viel Zuspruch zurückbekommen. Das konnte ich in meinem ersten Jahr als Senatorin noch gar nicht so wahrnehmen. Da war ich noch so gefangen in dem Gedanken: Was machst du jetzt hier eigentlich? Ich musste so viel Neues in meinen Kopf bekommen, dass ich dachte, ich schaffe das nicht – und ich halte mich ja durchaus für intelligent. Aber später konnte ich Erfolge auch genießen. Das hat für vieles entschädigt.
Das mit den Erfolgen sieht die Opposition anders. Für die CDU waren Sie ein Totalausfall, für die FDP hinterlassen Sie einen Scherbenhaufen. Und auch Grünen-Fraktionschef Ratzmann sagte, Sie hätten keine wesentlichen Initiativen für diese Stadt auf den Weg bringen können. Prallt das an Ihnen ab?
Natürlich nicht. Aber ich kann das inzwischen einordnen. Und Volker Ratzmann, na ja …
Wie, na ja?
Wer so gestrickt ist, dass er auch zum Abschied noch nachtreten muss, der tut mir leid, der ist aus meiner Sicht für das politische Geschäft nicht gut geeignet. Ich finde, so etwas klemmt man sich. Dieser Stil ist mir immer fremd geblieben, bei aller Härte, die man in so einem Amt lernt.
Der Senat, war das für Sie ein Team oder ein wöchentlicher Pflichttermin am Dienstagvormittag?
Ein Team sind wir nicht geworden, dafür war jeder zu sehr Einzelkämpfer in seinem Ressort.
Und der Regierende Bürgermeister, war der für Sie ein kritikfähiger Erster unter Gleichen oder ein beratungsresistenter Großer Vorsitzender?
Habe ich nicht vorhin angedeutet, dass man beim Abschied nur Nettigkeiten verteilen sollte?