Profit, Profit, endlich mal Profit!

Der britische „Guardian“ zählt zu den renommiertesten Zeitungen der Welt. Trotz­dem machte er lange Verluste. Nun schrieb er zum ersten Mal schwarze Zahlen

Nicht das neue Print-Format, das Chefredakteurin Katharine Viner in der Hand hält, rettete den „Guardian“ Foto: Alicia Canter/eyevine/laif

Von Ralf Sotscheck

Wo Sie schon mal hier sind, wollen wir Sie um einen kleinen Gefallen bitten“, steht als kleine Ansprache unter jedem Artikel auf der Webseite des britischen Guardian. „Unterstützen Sie den Guar­dian mit einem Betrag schon ab einem Pfund – es dauert nur eine Minute. Danke sehr.“

Texte auf der Newsseite theguardian.com sind frei zugänglich. Chefredakteurin Katharine Viner setzt auf freiwillige Beiträge der Leserschaft. Viner, die erste Frau an der Spitze in zwei Jahrhunderten Guardian, frohlockt, dass man dank der Guardian-Leser außer Gefahr sei. ­Viner blickt optimistisch in die Zukunft. „So wie vor drei Jahren haben wir uns nun ein neues ambitioniertes Ziel gesetzt, auch wenn die Lage immer noch fragil ist“, sagt sie.

650.000 Menschen zahlen derzeit regelmäßig, hinzu kommen 300.000 einmalige Zahlungen im Jahr. Noch vor drei Jahren wurde das Einkommen zu 60 Prozent durch Print und zu 40 Prozent durch das Online-Geschäft generiert. Heute ist es fast umgekehrt. Der Guardian hat ein Team einberufen, um Strategien zu entwickeln, damit die zahlende Kundschaft bei der Stange bleibt.

Allerdings sah Viners Dreijahresplan auch das Kürzen der Ausgaben um 20 Prozent vor. Man hat deshalb 450 Stellen gestrichen, davon 120 in der Redaktion.

Bisher funktioniert diese kombinierte Strategie aus Sparen und neue zahlende Kundschaft erschließen. Im vergangenen Steuerjahr, das in Großbritannien im April endet, hat das Blatt zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten schwarze Zahlen geschrieben. Der Gewinn lag bei 800.000 Pfund. Vor drei Jahren hatte man noch 57 Millionen Verlust gemacht. Damals wurde die Zeitung nur dadurch vor einem Konkurs bewahrt, dass hinter ihr eine Stiftung steht. Und die hatte dem Verlagshaus Guardian News & Media (GNM), zu der neben dem Guardian auch der Observer gehört, immer wieder aus der Patsche geholfen.

Der Guardian wurde vor fast 200 Jahren gegründet, 1821 als Wochenzeitung Manchester Guar­dian. 1964 zog man nach London um. 1872 wurde der Journalist und liberale Politiker Charles Prestwich „C. P.“ Scott Chefredakteur und schließlich Eigentümer. 57 Jahre lang leitete er die Zeitung. Nach seinem Tod gründete sein Sohn die Scott-Stiftung, die 25 bis 30 Millionen Pfund im Jahr zuschießt, um die Unabhängigkeit des Blattes zu garantieren. Ohne diese Subventionierung würde die Zeitung weiterhin Verluste machen.

Publizistisch gehört der Guar­dian zu den erfolgreichsten Blättern der Welt: die Wikileaks-Enthüllungen, die Aufdeckung der Abhöraffäre bei Rupert Murdochs News of the World, die Berichte über Folter an Gefangenen im Irak und nicht zuletzt die Veröffentlichung der Snowden-Papiere fanden dort statt. Neben der Washington Post ist dafür auch der Guardian mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden.

Der gedruckten Auflage hat das nichts genützt. 2005 lag sie noch bei über 380.000 Exemplaren, inzwischen sind es nur noch knapp 135.000 Stück, bereits 9,3 Prozent weniger als vor einem Jahr. Beim Observer ist die Tendenz ähnlich. Werbung in der gedruckten Ausgabe, früher die Haupteinnahmequelle, macht nur noch 8 Prozent des Umsatzes aus.

Der Vorgänger Katharine Viners, Alan Rusbridger, hatte die Stiftung 2011 vor die Wahl gestellt: Man könne weiter kürzen oder in die Zukunft investieren. Die Stiftung entschied sich für Letzteres und finanzierte die Expansion der digitalen Ausgabe. Hundert neue Web-Entwickler wurden eingestellt, seit 2011 gibt es eine US-Online-Ausgabe, 2013 folgte die australische Version. Nach der Daily Mail und der New York Times ist der Guar­dian online die meistgelesene englischsprachige Zeitung der Welt. Mehr als 160 Millionen Menschen besuchen die Webseite jeden Monat.

Während vergleichbare Zeitungen wie die New York Times, die Washington Post, das Wall Street Journal, die Financial Times und die Times auf eine Paywall setzen, hat der Guardian das stets abgelehnt. „Ich bin gegen eine Paywall“, sagt Rusbridger der taz vor fünf Jahren, „denn die würde unsere Leserschaft auf eine kleine Elite reduzieren. Wir aber wollen eine breite Leserschaft und internationalen Einfluss. Das ist für Anzeigenkunden attraktiv.“

2011 stand die Stiftung des „Guardian“ vor der Wahl: weiter kürzen oder in die Zukunft investieren. Sie entschied sich für die Finanzierung der digitalen Expansion

Lediglich für die Premium-App, die keine Werbung enthält, ein tägliches Kreuzworträtsel bietet und das Offline-Lesen erleichtert, muss man 6,99 Pfund im Monat zahlen. Das tun zurzeit 190.000 Menschen.

Rusbridger ist aber auch für extravagante Ausgaben verantwortlich. Bis 2005 war der Guar­dian ein Broadsheet, also ein großformatiges Blatt. Die Stiftung wollte schon damals auf das Tabloid-Format umsteigen, doch Rusbridger bestand auf dem Berliner Format, in dem auch die taz erscheint. Da in Großbritannien aber niemand dieses Format drucken konnte, leistete sich der Guardian ein eigenes Druckzentrum für rund 80 Millionen Pfund. Voriges Jahr stieg man schließlich auf das 20 Prozent kleinere Tabloid-Format um und lässt die Zeitung nun bei Trinity Mirror drucken, was viel Geld spart.

Mit der Verkleinerung auf das Boulevardformat ging auch eine Boulevardisierung der Zeitung einher. Man richtete zum Beispiel einen Kummerkasten ein. Die Leserinnen und Leser können sich an „Dear Mariella“ wenden, um Rat einzuholen.

Es gibt auch Skeptiker. Amol Rajan, Medienredakteur der BBC, zum Beispiel. Der Guar­dian habe 2016 vom Doppelschock mit Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten profitiert, glaubt Rajan. Der Rückgang der Auflage und der Werbeeinnahmen werde weitergehen. Darüber hinaus würden Facebook und Google künftig noch mehr Anzeigenkunden abziehen. Außerdem sieht er den Brexit als Gefahr. Wird er zum Beispiel die Papierpreise beeinflussen? „In der Ära der technologischen Innovationen kann kein digitales Geschäft seinen Erfolg als selbstverständlich voraussetzen.“ Allerdings räumt Rajan ein, dass es eine erstaunliche Leistung sei, ein Fass ohne Boden binnen drei Jahren in ein profitables Unternehmen zu verwandeln.

Der Guardian sei eben eine „komische Zeitung“, meint Jo­shua Benton, ein US-amerikanischer Journalist und Direktor des Nieman Journalism Lab an der Harvard University. „Bei den meisten Blättern kommen nicht beinahe zwei Drittel der Leser aus dem Ausland“, sagt er. „Und die meisten Zeitungen sterben, wenn sie ständig Verluste machen.“ Bis 2022 jedenfalls will Viner die Unterstützung von 2 Millionen Menschen weltweit sichern.