Tanja Tricarico über verpflichtende Arbeitszeiterfassung: Wie aus der Zeit gefallen
Arbeiten von 9 Uhr bis 17 Uhr ist keine Regel mehr. Die kollektive Mittagspause zwischen 11.30 Uhr und 13 Uhr ist ein Relikt – gefühlt aus Zeiten des Wirtschaftswunders in Deutschland. Gearbeitet wird in der Nacht, am Tag, mal hier, mal dort. Am Stück oder verteilt auf 24 Stunden. So sieht der Arbeitsalltag 4.0 aus. Und trotzdem bejubeln Gewerkschaften, Arbeitsrechtler*innen und etliche Politiker*innen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, Arbeitgeber*innen zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter*innen zu verpflichten.
Das Urteil wirkt wie aus der Zeit gefallen, wenn die Grenze zwischen privat und beruflich deutlich verschwimmt. Denn die Idee von geregelten Arbeitszeiten passt nicht mehr zu den Jobprofilen, die es jetzt schon zuhauf gibt. Die Digitalisierung verschärft diesen Trend. Jetzt – und nicht erst in Zukunft.
Der Arbeitsschutz ist ein hohes Gut. Keine Frage: Es braucht Regeln, die der Flexibilisierung von Job und Privatleben Grenzen setzen. Doch die Dauerkontrolle über die Einsätze der Arbeitenden dürfte diese Anforderung nicht lösen. Es ist an der Zeit, über Alternativen nachzudenken. Etwa über Arbeitsformate, die zum Leben passen, also zur Familie, zur Freizeit, zur Realität der Arbeitenden. Warum nicht einen Auftrag anfangen, dann das Kind von der Kita abholen oder klettern gehen und im Anschluss sich erneut an die Arbeit setzen? Oder wie wäre es, über eine Bezahlung nachzudenken, die sich an realistischen Aufgaben orientiert, nicht am Absitzen von Zeitplänen? Auch grundsätzliche Überlegungen über die Bewertung und den Wert von Arbeit überhaupt sind dringend nötig.
Diese Ideen könnten Ausbeutung und Demotivation von Mitarbeiter*innen, im besten Fall gar die geringe Wertschätzung der Belegschaft, die in vielen Unternehmen herrscht, mindestens eindämmen. Dabei hilft ein Urteil der EU-Richter*innen nur bedingt. Vielmehr braucht es die Bereitschaft der Firmenchef*innen, Arbeitsmodelle zu überdenken. Und es kommt auf die Belange der Mitarbeiter*innen an. Die Generation der Berufsanfänger*innen denkt längst nicht mehr an Selbstaufgabe, wenn es um den Job geht, und will auf Freizeit nicht verzichten. Bis zur Revolution der Arbeit ist es allerdings noch ein weiter Weg.
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