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Archiv-Artikel

Pflugscharen zu Windrädern

Viele Landwirte produzieren lieber Strom statt Fleisch. Nun macht Schwarz-Gelb ihrer angestammten Zielgruppe in Gummistiefeln einen dicken Strich durch die Rechnung.Ein Ortstermin bei Stromwirten aus Westfalen

„Ich füttere jetzt meine Biogasanlage – wie eine Kuh“, sagt Stromwirt Ulrich Holz

AUS VERSMOLD UND ANRÖCHTE RALF GÖTZE

Es regnet und der „Lange Weg“ im ostwestfälischen Versmold macht seinem Namen alle Ehre. Zum Glück hat Ulrich Holz die Hausnummer „vier“. Auf den ersten Blick macht sein Anwesen einen etwas verwahrlosten Eindruck. Aus einem eingedrückten Scheunendach quillt nasses Stroh. Beim angrenzenden Fachwerkhaus fehlen Dachpfannen. Ausgerechnet hier soll die Zukunft der Landwirtschaft beheimatet sein?

Erst nach einer Kurve geben Bäume den Blick auf das eigentliche Gehöft frei und auf drei Großsilos. „Damit füttere ich täglich meine Biogasanlage“, sagt Ulrich Holz, „wie eine Kuh“. Seine Maschine produziert keine Milch, sondern 350 Kilowatt elektrischen Strom. Genug Energie, um 50 Haushalte zu versorgen. Als Rohstoff dienen Speisereste, die in den Silos vergären. Dabei entsteht Methan für die Stromproduktion sowie Biogülle, die sich als effektiver und geruchsarmer Dünger bewährt hat. Kühe, Hühner oder Schweine fehlen auf diesem Bauernhof.

Doch trotz vieler Vorteile lohnte sich die Investition vor wenigen Jahren kaum. Hofbesitzer Holz gehörte damals zu den Pionieren in Nordrhein-Westfalen. Als der ostwestfälische Landwirt 1996 sein erstes Kleinkraftwerk baute, gab es landesweit erst sieben weitere: „45 Kilowatt – das war damals eine Großanlage“, sagt der 37-Jährige, der neue Verdienstmöglichkeiten in der Landwirtschaft suchte. Mit zwanzig Hektar kargen Bodens war sein Hof nicht groß genug für den Vollerwerb. Daher setzte der gelernte Metzger auf einen Erwerbsmix aus Schweinemast, Hausfleischerei und Biogas.

Erst mit dem „Erneuerbaren Energien Gesetz“ (EEG) der rot-grünen Bundesregierung beschränkte er sich ganz auf Energie. Vor vier Jahren nahm er eine 350 Kilowatt-Anlage in Betrieb und transportierte seine 200 Schweine ab. „Gärende Speisereste und Viehhaltung verträgt sich nicht“, erklärte Ulrich Holz seinem Vater den drastischen Schritt. Obwohl er in der Zwischenzeit die Ackerfläche auf 100 Hektar vergrößert hat, macht der Stromverkauf 75 Prozent seiner Einkünfte aus. Läuft der Generator unter Volllast erwirtschaftet er pro Stunde 35 Euro – Tag und Nacht. Gleichzeitig bekommt Holz noch Geld dafür, dass er Speisereste entsorgt.

Für den neuen NRW-Agrarminister Eckhard Uhlenberg (CDU) ist Holz kein Vorbild seines Standes. Im taz-Interview verriet er, dass Bauern in erster Linie wieder Nahrungsmittelproduzenten sein sollen. Land- und Energiewirt Holz ist der Gegenentwurf: „Mit reiner Getreideproduktion lässt sich doch nichts mehr verdienen“, sagt er, „und Viehwirtschaft ist eine Achterbahnfahrt“. Stromgeld sprudelt dagegen stetig und dank EEG mit einem garantierten Abnahmepreis von zehn Cent pro Kilowattstunde. Damit könne man fest kalkulieren und vor allem Kredite bekommen.

Doch diese Planungssicherheit sieht der Biogasunternehmer nun gefährdet, falls sich der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) mit dem so genannten Zertifikate-Modell durchsetzen sollte: „Ein Minimalpreis plus einen Wundertüten-Ökobonus – damit kann doch kein Landwirt eine Kreditabteilung überzeugen“, ist er sich sicher. Und die großen Energiekonzerne nähmen diesen Effekt billigend in Kauf.

Peter Paziorek, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion aus Warendorf, drückt sich noch drastischer aus: „Das Zertifikat-Modell wird die Landwirtschaft erbarmungslos zurückwerfen.“ Außerdem würden Erfahrungen aus England und Italien zeigen, dass sich am Ende die Konzerne das regenerative Geschäft unter den Nagel reißen und der Ökostrom trotzdem nicht billiger wird. Paziorek macht keinen Hehl daraus, dass seine wirtschaftsliberalen Parteifreunde und die FDP mit dem vom VDEW favorisierten Vorschlag sympathisieren. Der christdemokratische Umweltflügel will lieber eine neu justierte Fassung des rot-grünen EEG mit reduzierten Vergütungen für Binnenland-Windkraft.

Auch das würde Einschränkungen mit sich bringen, die Mattias Bürger nicht hinnehmen will. Der Vorsitzende des CDU-Gemeindeverbandes Anröchte (Kreis Soest) kann die ablehnende Haltung seiner Partei gegenüber der Windkraft nicht nachvollziehen. Vor allem die von der neuen Landesregierung beschlossene Mindestreichweite von 1.500 Metern zu Wohngebieten treffe die Energiebauern hart: „Viele Ersatzinvestitionen für alte Räder stehen damit auf der Kippe“, sagt der 29-Jährige, dabei wären neue Anlagen deutlich effizienter und ruhiger.

Bürgers innerparteiliche Opposition kommt nicht von ungefähr – zusammen mit Vater Emil betreibt er eine Windkraftanlage im Anröchter Ortsteil Altenmellrich. Das Tor zum Sauerland steht hier auf Durchzug. Wenn der Wind richtig weht, schafft Bürgers Anlage bis zu 1.500 Kilowatt, die stündlich mit neun Cent vergütet werden.

Schon seit Anfang der Neunziger Jahre hatte Emil Bürger mit dem Gedanken gespielt für seinen Bauernhof eine weitere Erwerbsquelle zu erschließen. 36 Hektar Fläche waren mit acht Kindern zu wenig. Er nahm einen Job als Küster an, denn das eigene Windrad scheiterte erst an der Verwaltung, dann an der Finanzierung und schließlich an der Stromanbindung. Der damalige Energieversorger VEW – heute Teil von RWE – sperrte sich dagegen eine bessere Leitung zu verlegen. Also nahmen Emil Bürger mit weiteren Interessenten die Sache selbst in die Hand. In Soest baute ihre Gesellschaft vor fünf Jahren ein eigenes Umspannwerk und führten eine zwölf Kilometer lange Leitung zum Haarstrang. Zwei Windparks mit insgesamt 21 Anlagen speisen nun Strom in das Leitungsnetz.

Die Räder sichern im beschaulichen Altenmellrich vielen Höfen das Auskommen und das dürfte übrigens auch ein Grund sein, weshalb die Grünen hier Wahlergebnisse über 13 Prozent einfahren. Dass die neue Existenzgrundlage der Bauern gerade durch die Pläne einer CDU-Landesregierung gefährdet wird, will Christdemokrat Mattias Bürger nicht akzeptieren: „Es muss nicht an jeder Ecke eins stehen, aber konzentrierte Parks an guten Standorten sind doch eine patente Alternative zu Wirtschaftswüsten“. Das Auge gewöhne sich mit der Zeit an die weißen Riesen, sagt Emil Bürger, „auf einmal gehören sie zum Landschaftsbild“.