: Of the people, by the people, for the people
Von Ulrich Gutmair
Wählen gehen ist ein erhebendes und erhabenes Gefühl. Wer zur Urne schreitet, ist Souverän, oder zumindest ein Teil davon. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, bestimmt das Grundgesetz nüchtern. Eine poetischere Wendung fand Abe Lincoln, als er sagte, Demokratie, das sei „Government of the people, by the people, for the people“.
„Wir sind das Volk“, riefen also die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik den Vertretern der herrschenden Einheitspartei zu. Dieses „Wir“ verweist darauf, dass das Volk eben nicht eins ist.
Das Volk, das sind die Vielen, weswegen das Englische die demokratischere Sprache ist: The people ist ein Plural, das Volk hingegen ein Singular, was Friedrich Schiller in seinem 1804 uraufgeführten Drama „Wilhelm Tell“ betonte, als er den schweizerischen Eidgenossen beim Rütli-Schwur diese Zeile in den Mund legte: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern.“
Ungefähr 400 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind heute aufgerufen, sich an den Wahlen zum Parlament zu beteiligen. Aber nur diejenigen, die wählen gehen, tragen zur Formulierung der volonté générale, also der allgemeinen Willensäußerung bei, deren Ausdruck laut Artikel 6 der während der Französischen Revolution formulierten Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen das Gesetz ist.
Dem widersprach Robert Musil: „Dass mittels der wählenden Demokraten der Wille eines Volkes ermittelt werden könne, ist natürlich eine Täuschung. Aber sieht man den Versuch vor sich, die Fragen divergierender Interessen nicht mit Messer und Pistole, sondern mittels einer Abstimmung zu entscheiden, so ist das natürlich doch ein humaneres und gesitteteres Verfahren.“
Musils Schriftstellerkollege Max Frisch war das zu wenig. Er meinte: „Die Würde des Menschen besteht in seiner Wahl.“
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