Verschluckte Farben

Trotz aphrodisierender Düfte und viel Körperspannung: Die Solo-Choreografie „Tchouraï“ von Germaine Acogny kommt beim „Tanz im August“ nicht richtig in Gang

Ein weihrauchartiger, herb-süßlicher Geruch breitet sich aus. Er steigt aus einem kleinen Gefäß vorn rechts auf der Bühne. Tchouraï heißt der darin verbrannte Extrakt, den die senegalesischen Frauen zur Purifikation ihrer Häuser verwenden und dem eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt wird. Der Duft dieses Krauts zieht sich durch die gesamte nach ihm benannte Choreografie, die im Rahmen von „Tanz im August“ im Podewils’schen Palais aufgeführt wurde.

Erst nach und nach zeichnet sich hinten links eine Pfeife rauchende Gestalt ab: Germaine Acogny, die Grande Dame des afrikanischen Solos, sitzt in weite Kleider gehüllt ruhig abwartend und aufmerksam beobachtend auf dem Boden, der nach Sand aussieht. Währenddessen strömen die Zuschauer noch in den Saal, der Rhythmus der Trommeln (Musik: Etienne Schwarcz) wird drängender. Viel Zeit scheint vergangen, als Acogny sich langsam erhebt und zum Tschouraï-Fässchen schreitet.

Die in Frankreich ausgebildete Tänzerin und weltweit tätige Choreografin, die 1968 in Dakar ihr erstes Tanzstudio gründete, entwickelte in der Verknüpfung von afrikanischen und klassisch-modernen Tanzelementen eine radikal neue Technik. Die gibt sie seit ihrer Rückkehr aus Toulouse in den Senegal auch in ihrer eigenen Schule, der „École des Sables“, an junge Tänzer weiter. Ihr jüngstes, vor vier Jahren uraufgeführtes Solo „Tchouraï“ entwickelte die zwischen den Welten pendelnde Acogny zusammen mit der Choreogrfhin Sophiatou Kossoka. Basierend auf einem Text des Dichters Xavier Orville soll es die wichtigsten Stationen ihres Lebens festhalten.

Es wäre jedoch zu einfach, jedes spontan assoziierte Gefühl während der Aufführung einem konkreten Ereignis zuordnen zu wollen: Die Tanz-Handlungen wirken viel zu subtil und jenseits einer bruchlosen narrativen Ebene. Zeitweise gleicht Germaine Acogny in ihrer stillen Anmut einer Priesterin, doch dann rollt sie auch schon wieder übermütig über den Boden und versichert lachend, dass sie nicht verrückt sei. Während der einstündigen Performance ist sie – abgesehen von Augenblicken innerer Einkehr und Sammlung – ständig unterwegs: Mal trippelnd, mal hastend misst sie mit ihren Schritten oder mit Hilfe eines langen Stocks die Bühne aus. Diese Bewegungsabläufe werden jedoch nicht konsequent zu Ende geführt, sondern nur angerissen: Sobald man meint, ihr Ziel zu kennen, irrt man bereits.

„Tchouraï“ folgt beständig dem Muster von Spannung und Gegenspannung. Selbst in den zahlreichen Momenten der totalen Einkehr behält Acognys Körper eine Grundgespanntheit bei, die sich in ihrer Mimik fortsetzt. Als sie eine Holzmaske neben ihr Gesicht hält, potenziert sich die Strenge seines Ausdrucks, geheimnisvoll changierend zwischen der Ähnlichkeit von Gesicht und Maske.

Die reduziert wirkende Choreografie „Tchouraï“ erweckt den Anschein, die Künstlerin besinne sich auf die Ursprünge einfachster Bewegungen. So sinnlich die Eindrücke und so überraschend die Ideen sind – man wartet doch immer darauf, dass es richtig losgeht, dass sich die Spannung in einem gesteigerten Tempo wiederfindet. In Wartestellung verharrt man bis zum Schluss.

Und dieser Schluss hinterlässt nochmal einen angemessenen Abdruck des Abends: Die wie in Zeitlupe auf den rechten Fluchtpunkt der Bühne zusteuernde Germaine Acogny wird von der langsam einsetzenden Dunkelheit Stück für Stück und Farbe um Farbe verschluckt, bis von ihren orangenen Kleidern nur noch ein weißer Schimmer und schließlich nichts mehr übrig bleibt. Schön und unspektakulär.ASTRID HACKEL