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Schwindende Potenz

Die Krise der Wirtschaft trifft den ohnehin krisenanfälligen türkischen Fußball: Wie Galatasaray Istanbul Meister wird vor dem Erdoğan-Klub Başakşehir FK

Von Tobias Schächter

Und dann drohte Fatih Terim Robinho auch noch zu verprügeln. Der Trainer von Galatasaray Istanbul konnte aber gerade noch daran gehindert werden, den brasilianischen Star von Başakşehir körperlich zu attackieren, allerdings erwischte er wohl Orhan Ak, Co-Trainer der Gäste, der klagte: „Terim hat mich geschlagen.“

Terim gab am Sonntagabend vor fast 50.000 Zuschauern in der Arena von Galatasaray mal wieder beide Rollen: die des Trainers und des Ultra-Anführers. Die Verfehlungen in seiner langen Karriere sind so zahlreich wie die Erfolge. Vor zwei Jahren kostete Terim die Verwicklung in einen Nachbarschaftsstreit seines Schwiegersohns samt Schlägerei den Posten des türkischen Nationaltrainers. Am vorletzten Spieltag der Liga peitschte der wuchtige Mann aus Adana sein Team im Duell gegen den direkten Konkurrenten Başakşehir nach einem Rückstand noch zu einem 2:1-Sieg – und damit zum 22. Titelgewinn. Für Terim ist es die achte Meisterschaft in seiner vierten Amtszeit bei „Cimbom“. Nur ein paar Tage zuvor feierte der Klub nach einem 3:1 gegen Akhisar Belediyespor den Pokalsieg.

Başakşehir-Coach Abdullah Avcı gratulierte zur Meisterschaft, kritisierte Terim aber scharf: „Ein Trainer stürmt nach einem Tor als gesamtes Rudel auf uns zu, greift uns an, beleidigt uns und verteilt Fäuste. Kurze Zeit später das Gleiche nochmal. Das ist der Grund, warum wir nicht weiterkommen.“ Avcı meinte den türkischen Fußball, der seit Jahren von Manipulationsvorwürfen, Einmischung der Politik, Fan-Ausschreitungen, skandalösem Verhalten von Verantwortlichen und ruinösem Geschäftsgebaren geprägt ist.

Mit dem Meisterschaftsgewinn wendete Galatasaray den drohenden Machtwechsel in der Süperlig erst einmal ab. Die Angst der etablierten Klubs wie Galatasaray, Beşiktaş und Fenerbahçe ist groß, dass Başakşehir die Phalanx ihrer Seriensiege dauerhaft durchbrechen könnte. Seit der Gründung der Süperlig 1959 konnten in Trabzonspor sowie Bursaspor nur zwei andere Vereine als die Großklubs aus Istanbul den Titel gewinnen. Doch in Başakşehir wuchs in den letzten Jahren ein ernsthafter Herausforderer heran, der lange wie der neue Meister aussah. Vom 10. bis zum 30. Spieltag führte der Retortenklub aus einem Istanbuler Vorort, der 1990 als Verein der Stadtverwaltung gegründet wurde und sich 2014 als Başakşehir FK neu erfand, die Tabelle an. In den letzten sechs Partien aber verspielte die Elf einen Sechs-Punkte-Vorsprung auf Galatasaray, das nun einen Spieltag vor Saisonende als Meister feststeht.

Başakşehir wird von potenten Unternehmen unterstützt, die der Regierungspartei AKP nahestehen. Die Verbindungen in die Politik und zu Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sind sogar verwandtschaftlicher Natur: Başakşehir-Präsident Göksel Gümüşdağ ist mit einer Nichte von Erdoğans Frau verheiratet. Erdoğan selbst weihte 2014 das neue Stadion ein, in dem allerdings nur knapp 3.000 Leute im Schnitt die Spiele verfolgen. Başakşehir ist schuldenfrei, während allein die Großklubs Galatasaray, Beşiktaş und Fenerbahçe Istanbul mit rund 1,4 Milliarden Euro verschuldet sind.

„Der türkische Fußball muss endlich aufstehen“

Fenerbahçe-Präsident Ali Koç

Das auf schnellen Erfolg und die Allmacht von Vereinspräsidenten aufgebaute Geschäftsmodell ist nach dem Verfall der heimischen Währung endgültig gescheitert. Auf Betreiben der Regierung legten Anfang des Jahres der türkische Fußball- und der türkische Bankenverband ein umstrittenes Rettungsprogramm über zwei Milliarden Euro auf; bis zur Konsolidierung soll die Staatsbank Ziraat die Schulden einiger Klubs übernehmen.

Der Titelgewinn von Galatasaray wird durch seltsame Schiedsrichterentscheidungen zugunsten des Klubs belastet. Beim letzten Auswärtssieg in Rize (3:2) gab der Schiedsrichter einen Elfmeter für Galatasaray, obwohl das Spiel nach einer Eckenentscheidung noch gar nicht fortgesetzt worden war. Rizespors Präsident Hakan Kartal polterte im TV: „Hätte ich eine Pistole dabei, würde ich ihn im Stadion erschießen. Wie soll ich mich kontrollieren? Man wird noch zum Mörder aufgrund dieser Schiedsrichter.“

Başakşehir-Präsident Gümüşdağ, aber auch Verantwortliche anderer Klubs rückten die Ereignisse in einen Manipulationszusammenhang. Fenerbahçe-Präsident Ali Koç erklärte: „Das ist ein trauriger Tag. Ich habe schon immer gesagt, dass sich der türkische Fußball einer Säuberung unterziehen sollte. Der türkische Fußball muss endlich aufstehen. Es ist der perfekte Zeitpunkt, mit den bevorstehenden Wahlen auszumisten.“ Im Juni wird ein neuer Verbandspräsident gewählt. Der alte Verbandsboss Yıldırım Demirören musste wegen eines Interessenkonflikts zurücktreten, nachdem der Unternehmer, der unter anderem in Besitz wichtiger Medienhäuser ist, jüngst auch den größten Wettanbieter der Türkei kaufte.

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