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Streng, ernst und moralisch

Die Arbeiten Ulrich Rasches erschüttern, man durchlebt sie körperlich. Ein Porträt des Regisseurs, dessen Inszenierung „Das große Heft“ das Berliner Theatertreffen beschließt

Von Shirin Sojitrawalla

„Das große Heft“ beschließt am Wochenende das diesjährige Theatertreffen in Berlin, und wie jede Aufführung von Ulrich Rasche wird auch diese das Publikum spalten. In diejenigen, die sich von der chorisch dargebotenen Wucht und Poesie mitreißen lassen, und in diejenigen, die mäkeln, hier seien keine Schauspieler, sondern bloße Überwältigungsstrategien am Werk.

Überwältigend sind Rasches Arbeiten fürwahr, sie erschüttern buchstäblich, auch weil man sie körperlich zu durchleben scheint. Das liegt auch an den gigantischen Bühnenkonstruktionen, die Rasche entwirft, mal sind es riesige Walzen („Dantons Tod“), mal Laufbänder („Die Räuber“), mal übergroße Scheiben („Woyzeck“, „Das große Heft“) oder wundersam aufklappbare Käfige, wie in „Elektra“ am Münchner Residenztheater, seiner jüngsten Arbeit.

Gleich mit zwei Stücken war der Regisseur Ulrich Rasche in diesem Jahr in der engeren Wahl der Theatertreffenjury, der ich seit 2016 angehöre. Mit „Die Perser“, einer Koproduktion der Salzburger Festspiele mit dem Schauspiel Frankfurt, sowie mit besagter Inszenierung „Das große Heft“ vom Staatsschauspiel Dresden, einer Roman­adaption nach Ágota Kristóf. Für seine Karriere hätte eine einmalige Theatertreffen-Einladung genügt, bekennt Ulrich Rasche freimütig. 2017 war er schon mit „Die Räuber“ (die aus technischen Gründen nicht in Berlin gezeigt werden konnten) und im vergangenen Jahr mit „Woyzeck“ zu Gast.

Alle seine Arbeiten überwältigen das Publikum mit hochfahrend effektsicherer Licht­regie, mit sich nach Art der Minimal Music ins Hirn fräsenden Soundschleifen und mit majestätisch auf der Stelle schreitenden Schauspielern und Schauspielerinnen, die ihre Sätze skandieren, als wollten sie die einzelnen Worte vom Knochen des Textes lösen, bis sie in all ihrer Nacktheit dröhnen.

Nicht selten hat man das Gefühl, schon oft Gehörtes zum ersten Mal zu begreifen. Es ist die Sprache, die bei Rasche im Scheinwerferkegel steht. Er selbst spricht davon, die Sprache zu vertikulieren wie einen Rasen, was meint, ihn von Unkraut und Moos zu befreien. Stets bringt das die Sprache neu zum Klingen, schon dadurch stechen seine Arbeiten aus der Masse der Inszenierungen heraus.

Dabei scheint manches von ihm anders intendiert als von vielen im Publikum wahrgenommen. Nicht Pathos, nicht Überwältigungsfuror treiben ihn an und um, vielmehr geht es ihm um einen Konzentrationsraum, Momente der Ruhe sind ihm wichtig, der atmende Rhythmus des Ganzen. Kein Wunder, dass der studierte Kunst- und Literaturwissenschaftler Ulrich Rasche sein Erweckungserlebnis bei Pina Bausch hatte. Die formale Strenge einer Choreografie, die abgezirkelten Wege des Tanztheaters sind seinen formstrengen Arbeiten wesensverwandt. Rasche fühlt sich obendrein dem asiatischen Theater verbunden, etwa dem Nō-Theater; Tai Chi und Meditation sind weitere Bezugspunkte und Techniken, die er selbst praktiziert. Womöglich wirkt er deswegen so freundlich und in sich ruhend.

Dabei bringen nicht nur diejenigen, die sein Theater nicht mögen, seine Arbeit mit faschistoiden Ästhetiken in Zusammenhang. Ein Vorwurf, der auch das Chortheater Einar Schleefs stets begleitete, mit dem sich Rasche intensiv beschäftigt hat. Von Rammstein ist da gern die Rede, aber auch von Leni Riefenstahl. Nichts liegt dem 1969 in Bochum geborenen Ulrich Rasche ferner, und doch eignen sich seine durchchoreografierten Arbeiten bestens, um Menschen und Unmenschen in der Masse auszustellen.

Auch den rohen Aufzeichnungen der beiden sich selbst abrichtenden Kinder aus „Das große Heft“ begegnet er mit seinen üblichen Theatermitteln, seinen rhythmisierten Bewegungs- und Sprechabläufen. Das chorische Sprechen verstärkt das Aufeinandertreffen von Einzelnen und Kollektiven. Dieses Spannungsverhältnis interessiert Rasche, wobei er einen eigenen, unverkennbaren Stil entwickelt hat.

Kein Platz für Ironie

Für Martin Kušej, Intendant des Münchner Residenztheaters, der nach dem Sommer ans Wiener Burgtheater wechselt, stehen Rasches Arbeiten derzeit in unserer Theaterlandschaft solitär da: „Auch wenn man im Moment in jeder zweiten Inszenierung einen Chor sieht – mit der Konsequenz, Präzision und Kraft von Ulrich Rasche und seinen Mitarbeitern macht das niemand.“ Kušej betont zudem die Ernsthaftigkeit von Rasches Theater. Gerade dadurch setze er sich von einem „Theater in Anführungsstrichen“ ab.

Streng, ernst und moralisch sind Rasches Arbeiten in der Tat. Für Ironien oder Augenzwinkern ist in ihnen kein Platz. Und wie geht es weiter? Dass er künftig auch am Wiener Burgtheater inszeniert, scheint ausgemacht. Auch am Deutschen Theater in Berlin wird in der nächsten Spielzeit eine Arbeit von ihm herauskommen. Zu tun hat Ulrich Rasche also offenkundig genug. Leichter dürfte es für ihn allerdings nicht werden, Theater für seine aufwendigen und kostspieligen Inszenierungen zu finden. Bei der Stückauswahl fühlt sich Rasche indes nicht so eingeengt, wie man meinen könnte. Selbst Tschechows „Der Kirschgarten“ sei möglich: „Ob ich das will, ist eine andere Frage.“

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